Entscheidungsstichwort (Thema)

Schließung einer Betriebskrankenkasse. Beendigung der Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes. Gesetzliche Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Schließung einer Betriebskrankenkasse. unwirksame außerordentliche Kündigung einer ordentlich kündbaren Arbeitnehmerin bei verbleibenden Beschäftigungsmöglichkeiten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Arbeitsverhältnisse der ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer einer Betriebskrankenkasse enden gemäß § 164 Abs. 4 Satz 1 iVm § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V im Zeitpunkt der Schließung der Krankenkasse nur dann kraft Gesetzes, wenn den Arbeitnehmern zuvor gemäß § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V eine Stellung bei einer anderen Betriebskrankenkasse oder beim Landesverband der Betriebskrankenkassen angeboten wurde, die ihnen unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung zuzumuten war und sie diese Stellung nicht angenommen haben.

2. Die Arbeitsverhältnisse der ordentlich kündbaren Arbeitnehmer einer Betriebskrankenkasse enden gemäß § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V im Zeitpunkt der Schließung nicht kraft Gesetzes, weil sich das in § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V geregelte Unterbringungsverfahren gemäß § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V auf diese Arbeitnehmer nicht erstreckt.

 

Leitsatz (redaktionell)

Entfallen mit der Schließung einer Betriebskrankenkasse nicht sämtliche Beschäftigungsmöglichkeiten sondern sinkt die Zahl der mit Abwicklungsaufgaben Beschäftigten kontinuierlich ab, führt die Betriebsstilllegung als solche nicht zur Aufrechterhaltung eines sinnentleerten Arbeitsverhältnisses allein durch Gehaltszahlungen; eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung mit einer (notwendig einzuhaltenden) Auslauffrist nach § 626 Abs. 1 BGB vermag daher das Arbeitsverhältnis nicht aufzulösen.

 

Normenkette

GG Art. 12 Abs. 1; BGB § 611 Abs. 1, § 626 Abs. 1; SGB V § 155 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 S. 9, § 164 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 1; MTV BKK § 20; ZPO § 50 Abs. 1, § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 21.12.2011; Aktenzeichen 29 Ca 4295/11)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 21.12.2011 - 29 Ca 4295/11 - abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der mit Bescheid des Bundesversicherungsamtes vom 04.05.2011 angeordneten Schließung der C.BKK mit Ablauf des 30.06.2011 beendet worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der C.BKK vom 19.05.2011 weder mit Ablauf des 30.06.2011 noch mit Ablauf des 31.12.2011 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als kaufmännische Angestellte zu vertragsgemäßen Bedingungen weiterzubeschäftigen.

II. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der Schließung der Beklagten mit Ablauf des 30.06.2011 kraft Gesetzes bzw. aufgrund einer von der Beklagten vorsorglich ausgesprochenen Kündigung vom 19. Mai 2011 geendet hat.

Die am ... Februar 1955 geborene, verheiratete Klägerin war seit dem 1. April 1999 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Ihr Arbeitsentgelt betrug monatlich zuletzt EUR 3.960,82 brutto. Dem Arbeitsverhältnis lag ein Arbeitsvertrag vom 14. September 2000 zu Grunde (Anlage K 1). Nach einem Schreiben der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 27. April 2009 fand auf das Arbeitsverhältnis das Tarifwerk für die Betriebskrankenkassen in der jeweils gültigen Fassung Anwendung (Anlage K 3). Nach § 20 des einschlägigen Manteltarifvertrags ist das Arbeitsverhältnis nicht mehr ordentlich kündbar, wenn der Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr vollendet hat und eine Beschäftigungszeit von mehr als 10 Jahren aufweist.

Bei der Beklagten handelt es sich um eine - in Abwicklung befindliche - Betriebskrankenkasse (im Folgenden: BKK). Sie ging aus einer Fusion der ehemaligen Betriebskrankenkassen Berlin und Hamburg im Jahre 2004 sowie weiterer Betriebskrankenkassen hervor. Die Beklagte war eine sogenannte geöffnete Betriebskrankenkasse. Bis zu ihrer Schließung waren bei der Beklagten rund 425 Arbeitnehmer beschäftigt. An den Standorten Hamburg, Berlin und Stuttgart waren Personalräte errichtet; daneben bestand ein Hauptpersonalrat. Die Klägerin war seit rd. zehn Jahren Mitglied im örtlichen Personalrat Stuttgart sowie Ersatzmitglied im Hauptpersonalrat.

Bereits zum Zeitpunkt der Fusion befanden sich die beiden später fusionierten Betriebskrankenkassen in einer angespannten finanziellen Lage. Diese resultierte im Wesentlichen aus einem großen Anteil Versicherter mit weit überdurchschnittlichen Leistungsausgaben. Trotz weiterer Zusammenschlüsse änderte sich hieran auch bei der Beklagten nichts. Obwohl die Beklagte Hilfen aus dem BKK-System erhielt, wies sie den höchsten aller Beitragssä...

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