Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung des Betriebsrates bei der Ausgestaltung der Entlohnungsgrundsätze im Betrieb. Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung. Rechtsfolgen der Mißachtung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die weitere betriebseinheitliche einzelvertragliche Vereinbarung des Entgeltsystemes eines gekündigten Tarifvertrages unter Ausschluß einzelner Differenzierungsmerkmale (Lebensalter/Bewährungsaufstieg) beinhaltet die Einführung eines neuen kollektiven Entgeltsystemes, die der Zustimmung des Betriebsrates nach § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG 1972 bedarf.

2. Die einzelvertragliche Vergütungsvereinbarung auf der Grundlage eines solchen ohne Beteiligung des Betriebsrates eingeführten Entgeltsystemes ist – nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung – unwirksam.

3. Die vom Arbeitgeber in einem solchen Fall geschuldete Vergütung ist nach § 612 Absatz 2 BGB auf der Basis des vormals bestehenden abgelösten betrieblichen Entgeltsystemes zu ermitteln.

 

Normenkette

BetrVG 1972 § 87 Abs. 1 Nr. 10, § 99 Abs. 1; BGB §§ 134, 612; MTV Nr. 2 § 21

 

Verfahrensgang

ArbG Heilbronn (Urteil vom 10.06.1999; Aktenzeichen 1 Ca 87/99)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.06.2002; Aktenzeichen 1 AZR 390/01)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom10.06.1999 – 1 Ca 87/99– abgeändert:

  1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Restvergütung für die Monate September bis einschließlich Januar 1999 in Höhe von DM 605,15 brutto nebst 4 % Zinsen per annum aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 01.02.1999 zu zahlen.
  2. Der Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin Restvergütung für die Monate Februar und März 1999 in Höhe von DM 240,06 brutto nebst 4 % Zinsen per annum seit dem 01.04.1999 zu zahlen sowie Restvergütung für die Monate April bis September 1999 in Höhe von DM 600,15 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergeben den Nettobetrag seit dem 04.10.1999.
  3. Der Beklagte wird schließlich verurteilt, an die Klägerin restliche Weihnachtsgratifikation 1998 in Höhe von DM 96,00 brutto nebst 4 % Zinsen per annum aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 01.02.1999 zu zahlen.

II. Der Beklagte hat die gesamten Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

III Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über restliche Arbeitsvergütung für die Zeit von September 1998 bis September 1999 und restliche Weihnachtsgratifikation für 1998.

Der … mit bundesweit über 600 Einrichtungen. Die am 21.08.1967 geborene Klägerin war bei ihm vom 01.05.1995 bis Ende April 2000 als … (eingestuft in Gehaltsgruppe Vb des tarifvertraglichen Entgeltsystems) im Raum … tätig – zunächst auf Honorarbasis, danach in mehreren befristeten Arbeitsverhältnissen bis 31.08.1998.

Die näheren Arbeitsbedingungen regelte zunächst der befristete schriftliche Arbeitsvertrag vom 16.05.1995, der wiederholt verlängert wurde (vergleiche ArbG-Akte Blatt 25 bis 28). In dessen § 3 war unter anderem bestimmt, daß der Manteltarifvertrag Nr. 2 vom 27.02.1984 (im folgenden kurz MTV Nr. 2) – ein Haustarifvertrag zwischen dem Beklagten und der … und die ihn ergänzenden oder ändernden Tarifverträge in jeweils geltender Fassung Bestandteile des Arbeitsvertrages sein sollten.

Der MTV Nr. 2 enthielt unter anderem folgende Bestimmungen:

„§ 20 Eingruppierung, Vergütung (Gehälter und Löhne)

(1) Über die Tätigkeitsmerkmale sowie über die Höhe der Vergütungen werden besondere Tarifverträge abgeschlossen.

§ 21 Grundvergütung (Gehalt. Monatslohn)

(1) Im Vergütungstarifvertrag sind die Grundvergütungen nach Lebensaltersstufen zu bemessen.

(2) Wird der Angestellte in den Vergütungsgruppen III bis IX und der Arbeiter spätestens am Ende des Monats angestellt, in dem er das 31. Lebensjahr vollendet hat, erhält er die Grundvergütung seiner Lebensaltersstufe. Wird der Arbeitnehmer zu einem späteren Zeitpunkt angestellt, erhält er die Grundvergütung der Lebensaltersstufe, die sich ergibt, wenn das bei der Einstellung vollende Lebensalter um die Hälfte der Lebensjahre vermindert wird, die der Arbeitnehmer seit Vollendung des 31. Lebensjahres zurückgelegt hat. Jeweils mit Beginn des Monats, in dem der Arbeitnehmer ein Lebensjahr mit ungerader Zahl vollendet, erhält er bis zum Erreichen der Endgrundvergütung die Grundvergütung der folgenden Lebensaltersstufe …

(3) …”

In einem Tarifvertrag Nr. 3 über die Tätigkeitsmerkmale zum Manteltarifvertrag vom 18.06.1991 in der Fassung vom 29.06.1995 war unter anderem auch unter bestimmten Voraussetzungen ein für die einzelnen Angestelltengruppen unterschiedlich ausgestalteter Bewährungsaufstieg vorgesehen, für … lein solcher schon nach zweijähriger Bewährung. In einem weiteren Vergütungstarifvertrag für die Angestellten und Arbeiter … vom 14.12.1996 (im folgenden kurz Vergütungs-TV) waren aufbauend auf den Vergütungsgruppen die Lebensaltersstufen nach den Maßgaben des § 21 MTV Nr. 2 bestimmt.

Im Jahr 1996 führte der Beklagte mit der … vor dem Hintergrund einer def...

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