Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. Gewährung einer dem Arbeitnehmer bisher zustehenden jährlichen Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Zweifelsregelung in § 271 Abs. 2 BGB gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie pro rata temporis auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können.

 

Normenkette

BGB § 271 Abs. 2, § 362 Abs. 1; MiLoG § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 S. 1, § 3 S. 1, § 20; ZPO §§ 2, 4 Abs. 1, § 5; MiLoG § 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Pforzheim (Entscheidung vom 17.03.2023; Aktenzeichen 2 Ca 93/22)

ArbG Pforzheim (Entscheidung vom 16.01.2023; Aktenzeichen 2 Ca 93/22)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 16. Januar 2023 - 2 Ca 93/22 - teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 37,22 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Juni 2022 zu zahlen.

II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

III. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

IV. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen. Für die Klägerin wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen.

Die Klägerin ist seit dem 24. August 2000 bei der Beklagten, die exklusive Haar- und Hautkosmetik produziert und vertreibt, auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 28. August 2000 (Bl. 44 d. ArbG-Akte) bei einer durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit von 171 Stunden beschäftigt. Dieses Arbeitszeitvolumen bildet auch die Basis für ihr verstetigtes Monatsgehalt.

Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise wie folgt:

"Pro Kalenderjahr stehen Ihnen 30 Arbeitstage Urlaub zu; das Urlaubsgeld beträgt 50 % eines Monatsgehalts, bezogen auf 30 Arbeitstage Urlaub.

Als Weihnachtsgeld erhalten Sie im Jahr 2000 30 %, im Jahr 2001 40 % und ab dem Jahr 2002 50 % eines Monatsgehalts. Es steht unter dem üblichen Vorbehalt der Rückzahlung bei einem Ausscheiden bis zum 31.03. des Folgejahres.

Für das Kalenderjahr 2000 wird Urlaub, Urlaubs- und Weihnachtsgeld anteilig gewährt. Für Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis ruht, entfallen die Ansprüche auf Sonderzahlung."

Mit der Abrechnung für den Monat Juni 2021 (Bl. 14 d. ArbG-Akte) erhielt die Klägerin Urlaubsgeld in Höhe von 809,00 € brutto und mit der Abrechnung November 2021 (Bl. 13 d. ArbG-Akte) Weihnachtsgeld in Höhe von 821,00 € brutto ausbezahlt.

Mit Schreiben vom 22. Dezember 2021 kündigte die Beklagte an, das Urlaubs- und Weihnachtsgeld künftig vorbehaltlos und unwiderruflich in jährlich 12 gleich hohen monatlichen Raten zu zahlen und auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen.

Für die Monate Januar bis März 2022 und Mai 2022 rechnete die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit einem Gesamtbetrag von jeweils 1.886,83 € brutto ab, den sie wie folgt aufschlüsselte:

Festlohn, gewerblich

1.642,00 €

13. Gehalt lfd.

136,83 €

Fahrtkostenzuschuss, p.St

81,00 €

AG-Anteil VWL, lfd.

27,00 €

Im Januar 2022 erbrachte die Klägerin Arbeitsleistung im Umfang von 171 Stunden.

Im Monat April 2022 rechnete die Beklagte gegenüber den Vormonaten zusätzlich noch unter der Bezeichnung "Sachbezug, st/sv-frei" 50,00 € brutto ab und brachte den sich insgesamt ergebenden Nettobetrag an die Klägerin zur Auszahlung.

Unter dem Datum 16. Februar 2022 richtete die Beklagte ein Schreiben an die Klägerin (Bl. 36 d. ArbG-Akte), in dem sie u.a. ausführte:

"Wir weisen höflich darauf hin, dass das vereinbarte Urlaubs- und Weihnachtsgeld aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen keine zusätzliche Gratifikation, sondern im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis stehende Gegenleistung unseres Unternehmens für die von Ihnen erbrachte Arbeit darstellt. Diese wird von Ihnen jeden Monat erarbeitet, wurde nur bislang zu zwei aufgeschobenen Terminen, nämlich im Juni bzw. im November eines Jahres fällig.

Diesen Fälligkeitszeitpunkt ziehen wir nunmehr vor. Das ist nach § 271 Abs. 2 BGB grundsätzlich möglich.

Auch die Rechtsprechung hat entschieden, dass der Arbeitgeber ein 13. Gehalt, wie etwa ein Weihnachtsgeld, vorfristig zahlen kann und damit den Anspruch auf den Mindestlohn erfüllt .... Im Grunde genommen handelt es sich um monatliche Abschlagszahlungen.

Damit bleibt es dabei, dass wir vorbehaltlos und unwiderruflich das Urlaubs- und Weihnachtsgeld - wie in unserem Schreiben vom 22. Dezember 2021 beschrieben - vorfristig auszahlen."

Die Klägerin hat vorgetragen: Die Beklagte rechne seit Januar 2022 das vereinbarte Urlaubs- und Weihnachtsgeld in monatlichen Abschlägen auf das Grundgehalt an, wodurch das Mindestlohngesetz ausgehebelt werden soll...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge