Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Tarifvertrags bei der SSB. Vergütungspflicht für die Wegezeit von Ablösestelle zu Ablösestelle im Anschluss an eine Pause

 

Leitsatz (redaktionell)

Wegstrecken, die vom Arbeitnehmer zwischen Beginn und Ende der Arbeitszeit zu dem Zweck zurückgelegt werden müssen, dass die geschuldete Tätigkeit an bestimmten Stellen durchgeführt werden kann, wie im Fall des Aufsuchens von Ablösestellen durch Bedienstete eines Nahverkehrsbetriebes, sind als Dienstleistung anzusehen, die regelmäßig nur gegen eine Vergütung erbracht wird.

 

Normenkette

BGB §§ 611-612

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Urteil vom 10.06.2005; Aktenzeichen 3 Ca 14270/04)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 21.12.2006; Aktenzeichen 6 AZR 341/06)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Kläger wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom10. Juni 2005 – 3 Ca 14270/04 – abgeändert:

  1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, Wegezeiten der Kläger während einer Dienstschicht von Ablösestelle zu Ablösestelle als Arbeitszeit zu vergüten, sofern diese nicht innerhalb einer Arbeitsunterbrechung von weniger als 35 Minuten oder mehr als 70 Minuten, bzw. ab 12. Dezember 2004 65 Minuten, liegen und keine bezahlte Pause sowie kein geteilter Dienst im Sinne des § 3 Anlage 3 zum Bezirkstarifvertrag Kommunaler Nahverkehrsbetriebe für die Stuttgarter Straßenbahnen AG vorliegt.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

II. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Der Gebührenstreitwert wird für den zweiten Rechtszug auf 5.089,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Frage, ob den als Fahrzeugführern bei der Beklagten, einem Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs, beschäftigten Arbeitnehmern dann, wenn eine Arbeitsunterbrechung länger als 35 Minuten, aber kürzer als (bis 11. Dezember 2004) 70 Minuten, bzw. (ab 12. Dezember 2004) 65 Minuten dauerte, in einer ungeteilten Schicht die Wegezeit zum Ablöseort, an dem dann das Fahrzeug zu übernehmen ist, zu vergüten ist.

Die Kläger, Mitglieder der Gewerkschaft ver.di, sind seit 1985 bzw. 1988 bei der Beklagten im Fahrdienst tätig, und zwar der Kläger zu 1 als Busfahrer und der Kläger zu 2 als Stadtbahnfahrer. Ihr Monatseinkommen, das sie bei der Beklagten beziehen, beläuft sich jeweils auf rund 3.000,00 EUR. Auf das Arbeitsverhältnis finden seit 01. Februar 2003 der von der Gewerkschaft ver.di und dem Kommunalen Arbeitgeberverband Baden-Württemberg abgeschlossene Bezirkstarifvertrag kommunaler Nahverkehrsbetriebe für die Stuttgarter Straßenbahnen AG (BzTV-N SSB) vom 06. Februar 2003 und seine Anlagen kraft Organisationsangehörigkeit beider Parteien Anwendung (Bl. 53 der Berufungsakte).

Da im Verlaufe eines Tages das Verkehrsaufkommen auf den von der Beklagten betriebenen Stadtbahn- und Buslinien einen unterschiedlichen Umfang annimmt und die Verkehrsbedienung während des größten Teils eines Kalendertages mit kurzer Unterbrechung während der Nachtzeit stattfindet, erfolgt der Einsatz des Fahrpersonals nach Schichtplänen. Die Schichten sind teilweise mit Rücksicht auf die im Verlaufe eines Tages unterschiedliche Verkehrsdichte auf einzelnen Linien geteilt. Ungeteilte Schichten werden durch eine Pause von mindestens 35 Minuten unterbrochen, die nicht bezahlt wird. Soweit nach der Pause innerhalb einer ungeteilten Schicht ein Fahrer einen anderen Fahrer auf dem dienstplanmäßig festgelegten Fahrzeug ablösen muss, fallen Wegezeiten an zwischen dem Ort, an dem der Fahrer abgelöst wurde und die Pause nach der eigenen Ablösung verbracht hat, und dem Ort, an dem er nach der Pause einen anderen Fahrer abzulösen hat.

Die Ablösestellen werden mit den im Linienverkehr eingesetzten Fahrzeugen der Beklagten erreicht. Auch die hierfür zu benutzenden Verbindungen werden im Dienstplan festgelegt.

Diese Wegezeiten werden von der Beklagten nur vergütet, soweit sie vor dem 12. Dezember 2004 im Anschluss an die 35-minütige Pause 35 Minuten und im nachfolgenden Zeitraum 30 Minuten überschreiten. Diese Regelung erfolgte in Absprache mit dem bei der Beklagten bestehenden Betriebsrat. Eine Vergütung der erforderlichen Ablösezeiten unterhalb dieser Zeitgrenze erfolgt jedenfalls seit 1996 nicht mehr. Bis dahin sah eine Betriebsvereinbarung eine entsprechende Vergütung vor.

Anlage 3 zum BzTV-N SSB enthält „Besondere Bestimmungen für Arbeitnehmer im Fahrdienst”. Sie haben, soweit vorliegend von Bedeutung, folgenden Wortlaut:

§ 1

Die dienstplanmäßige tägliche Arbeitszeit darf 8 ½ Stunden, in Ausnahmefällen 9 ½ Stunden, in der Dienstschicht nicht übersteigen. Abweichend von Satz 1 darf die dienstplanmäßige tägliche Arbeitszeit gern. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c des Arbeitszeitgesetzes an höchstens 30 Werktagen im Jahr auf zehn Stunden verlängert werden. § 9 Abs. 1 Satz 2 BzTV-N SSB gilt entsprechend. Über die Ausnahmefälle im Sinne des Unterabsatzes 1 Satz 1 ist mit dem Betriebs-/Personalrat Einvernehmen zu erzielen.

§ 2

(1) Die Dienstschicht umfaßt die reine Arb...

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