Entscheidungsstichwort (Thema)

Klagefrist nach § 4 KSchG bei außerordentlich gekündigten Berufsausbildungsverträgen. Nachschieben von im Kündigungsschreiben nicht erwähnten Kündigungsgründen bei außerordentlicher Kündigung von Berufsausbildungsverträgen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes über die fristgebundene Klageerhebung (§ 13 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 4) gelten nicht für die Geltendmachung der Rechtsunwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung von Berufsausbildungsverhältnissen, unabhängig davon, ob ein Ausschuß zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Ausbildenden und Auszubildenden i.S.d. § 111 Abs. 2 ArbGG besteht oder nicht (Fortführung der Rechtsprechung des BAG gemäß Urteil vom 13. April 1989 – AZ: 2 AZR 441/88 EzA § 13 nF KSchG Nr. 4 –). Das Gegenteil folgt auch nicht aus § 3 Abs. 2 BBiG, wonach die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze auch auf das Berufsausbildungsverhältnis anwendbar sind, soweit sich aus dem Wesen und Zweck des Berufsausbildungsvertrags und aus dem Berufsbildungsgesetz nichts anderes ergibt.

2. Zur Begründung der außerordentlichen Kündigung gegenüber einem Auszubildenden kann sich der Ausbildende im Hinblick auf § 15 Abs. 3 BBiG nur auf diejenigen Gründe berufen, die konkret und nachvollziehbar im Kündigungsschreiben selbst oder in einer Anlage zu diesem Kündigungsschreiben ausgeführt sind. Das schließt ein Nachschieben von dort nicht ausgeführten Kündigungsgründen selbst dann aus, wenn nachgeschobene Kündigungsgründe bereits im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs vorhanden waren, dem Ausbildenden jedoch erst nachträglich bekannt geworden sind.

3. Wenn sich der Auszubildende wegen krankheitsbedingter Abwesenheitszeiten jeweils zu Beginn dieser Abwesenheitszeiten (telefonisch oder schriftlich) beim Ausbildenden oder seinem Vertreter entschuldigt hat, dann vermag die verspätete Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in der Regel die außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses selbst dann nicht zu rechtfertigen, wenn es sich um einen Wiederholungsfall nach vorheriger, einmaliger, einschlägiger und ordnungsgemäßer Abmahnung handelt, weil der Obliegenheitspflichtverletzung in diesem Fall bereits nicht das erforderliche Gewicht des wichtigen Grundes i.S.d. § 15 Abs. 2 Ziff. 1 BBiG zukommt.

 

Normenkette

ArbGG § 111 Abs. 2; BBiG § 3 Abs. 2, § 13 Abs. 1; KSchG § 4; BBiG § 15

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Urteil vom 17.10.1989; Aktenzeichen 1 Ca 4557/89)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 17.10.1989 (AZ: 1 Ca 4557/89) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer dem Kläger gegenüber am 22.05.1989 ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung zum 30.05.1989 und über einen von der Rechtswirksamkeit dieser Kündigung abhängigen Weiterbeschäftigungsanspruch im Rahmen des Ausbildungsverhältnisses zwischen den Parteien bis zum 28.02.1990. Folgender Sachverhalt liegt zugrunde:

Der Kläger steht seit September 1986 als Werkzeugmacher in einem Ausbildungsverhältnis zur Beklagten; die Ausbildungsvergütung belief sich zuletzt auf monatlich DM 860,00 brutto. Das Ausbildungsverhältnis wurde gemäß § 27a Abs. 3 Handwerksordnung (HandwO) über die ursprünglich vorgesehene Zeit hinaus bis zum 28.02.1990 verlängert.

Mit Schreiben vom 22.05.1989 (Fotokopie in Bl. 5 d.A.) kündigte die Beklagte das bestehende Ausbildungsverhältnis außerordentlich zum 30.05.1989 auf unter Bezugnahme auf ihr Schreiben an den Kläger vom 10.05.1989 (Fotokopie Bl. 124 d.A.) mit der Begründung, der Kläger habe sich am 16.05.1989 zwar telefonisch krank gemeldet, es fehle aber „bis heute” an der Vorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Daraufhin wandte sich der Kläger wegen der außerordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 29.05.1989 an die Industrie- und Handelskammer Esslingen und rief den Ausschuß für Lehrlingsstreitigkeiten an. Die Industrie- und Handelskammer gab dieses Schreiben am 16.06.1989 zuständigkeitshalber an die Handwerkskammer Stuttgart ab und gab dem Kläger Abgabenachricht. Mit Schreiben vom 20.07.1989 erinnerte der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte des Klägers an die Erledigung der Angelegenheit. Daraufhin teilte die Kreishandwerkerschaft Stuttgart ihm mit Schreiben vom 26.07.1989 mit, daß bei der Mechaniker-Innung Esslingen kein Schlichtungsausschuß nach § 111 ArbGG bestehe (vgl. Fotokopie der vorgenannten Schreiben in Bl. 6 – 11 d.A.). Daraufhin erhob der Kläger, der die außerordentliche Kündigung vom 22.05.1989 für unwirksam hält, am 02. August 1989 Klage mit folgenden Anträgen:

  1. Es wird festgestellt, daß das Ausbidlungsverhältnis zwischen den Parteien durch die von der Beklagten am 22.05.1989 ausgesprochene fristlose Kündigung zum 30.05.1989 nicht aufgelöst worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Werkzeugmacher-Aus...

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