Entscheidungsstichwort (Thema)

Neuregelung von Versorgungsansprüchen aus einer betrieblichen Ruhegeldordnung. 3-Stufen-Prüfungsschema nach der Intensität des Eingriffs

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei Eingriffen in erdiente Besitzstände der Arbeitnehmer ist auf Grundlage der BAG-Rechtsprechung von einem dreistufigen Prüfungsschema auszugehen, das entsprechend den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer Rechnung trägt. Das Gewicht des Eingriffsgrunds muss der Stärke des Besitzstands entsprechen. Insoweit bietet es sich an, für einen Eingriff wenigstens „triftige Gründe” zu fordern, wobei eine Parallele zur Handhabung des § 16 BetrAVG naheliegt.

2. Eingriffe in den erdienten Teilbetrag einer Versorgungsanwartschaft sind nur in seltenen Ausnahmefällen statthaft.

3. Die Dynamik einer Anwartschaft, die sich aus variablen Berechnungsgrundlagen ergibt, ist nach dem BetrAVG weniger schutzwürdig als der nach § 2 Abs. 1 BetrAVG unverfallbare Sockelbetrag.

 

Normenkette

BetrAVG § 16

 

Verfahrensgang

ArbG Karlsruhe (Urteil vom 18.09.2009; Aktenzeichen 9 Ca 274/09)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 18.09.2009 – 9 Ca 274/09 abgeändert:

Es wird festgestellt, dass der Versorgungsanspruch des Klägers denjenigen Betrag nicht unterschreiten darf, der nach der Ruhegeldordnung der B. AG in der Fassung vom 30.05.1986 entsprechend der zurückgelegten Beschäftigungsdauer des Klägers und auf Grundlage des ruhegeldfähigen Einkommens gemäß § 8 der genannten Ruhegeldordnung erdient wurde.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über das dem Kläger im Versorgungsfall zustehende betriebliche Ruhegeld.

Der Kläger ist am 0.0.1952 geboren. Er begründete zum 01.09.1968 ein Arbeitsverhältnis mit der B. AG, welche 1997 zusammen mit der EVSch AG zur E. AG (i. d. F.: E. AG) fusionierte. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist nachfolgend auf die Beklagte, ein durch Ausgliederung entstandenes Tochterunternehmen innerhalb des E.-Konzerns, übergegangen. Die Beklagte ist im Konzern zuständig für den Vertrieb von Energie, Energieprodukten und Energiedienstleistungen aller Art sowie sonstiger Produkte und Dienstleistungen.

Bei der B. AG existierte eine Ruhegeldordnung, welche für die Arbeitnehmer Betriebsrentenansprüche vorsah in Form endgehaltsbezogener Versorgungsleistungen im Rahmen eines Gesamtversorgungssystems. Die zwischen der B. AG und ihrem Gesamtbetriebsrat am 30.05.1986 abgeschlossene „Ruhegeldordnung über Gesamtversorgung” (vgl. Vor.A. Bl. 19 bis 55) regelt u. a.:

㤠6

Ruhegeld im Regelfall

1. Das Ruhegeld beträgt mit Erfüllung der Wartezeit (§ 4) 35 v. H. des ruhegeldfähigen Einkommens bei Vollzeitbeschäftigung. Es erhöht sich ab dem vollendeten zehnten ruhegeldfähigen Dienstjahr für jedes weitere Dienstjahr bis zum vollendeten 25. Dienstjahr um 2 v. H. des ruhegeldfähigen Einkommens und von da ab um 1 v. H. des ruhegeldfähigen Einkommens bis zum Höchstsatz von 75 v. H. Hierbei wird der Steigerungssatz eines angebrochenen Dienstjahres nach Kalendermonaten errechnet; angebrochene Kalendermonate sind als volle Monate zu rechnen.

…”

§ 8

Ruhegeldfähiges Einkommen

1. Maßgebend für die Höhe des Ruhegeldes und der Hinterbliebenenversorgung ist das zuletzt bezogene monatliche ruhegeldfähige Einkommen (Abs. 2 a).

…”

§ 10

Anrechnung auf das Ruhegeld

1. Auf das Ruhegeld werden angerechnet:

  1. Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, die auf Pflichtbeiträgen oder auf Ausfall- oder Ersatzzeiten beruhen und Erhöhungsbeträge aus Pflichtbeiträgen, welche nach dem 31.12.1956 während Ausfall- oder Zurechnungszeiten zu entrichten waren, wenn und soweit die entsprechenden Versicherungszeiten von der B. AG als ruhegeldfähige Dienstzeit anerkannt sind. Das gleiche gilt für andere Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung (Kranken- und Arbeitslosenversicherung), zu denen Arbeitgeberbeiträge entrichtet wurden;
  2. Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, die auf Pflichtbeiträgen oder auf Ausfall- oder Ersatzzeiten beruhen und Erhöhungsbeträge aus Pflichtbeiträgen, welche nach dem 31.12.1956 während Ausfall- oder Zurechnungszeiten zu entrichten waren, soweit sie zusammen mit dem Ruhegeld und Leistungen nach Buchstabe a 75 % des ruhegeldfähigen Einkommens übersteigen würden;
  3. der Kürzungsbetrag an der Sozialversicherungsrente infolge Rentenbezugs aus der gesetzlichen Unfallversicherung;
  4. Versorgungsleistungen früherer Arbeitgeber, soweit sie zusammen mit dem Ruhegeld und den anrechenbaren Leistungen nach vorstehenden Buchstaben a bis c 75 % des ruhegeldfähigen Einkommens übersteigen würden;
  5. beamtenrechtliche Versorgungsleistungen, soweit sie zusammen mit dem Ruhegeld und den anrechenbaren Leistungen nach vorstehenden Buchstaben a bis d 75 % des höheren ruhegeldfähigen Einkommens aus der jeweiligen Endstufe der Vergütungsgruppe übersteigen würden;
  6. Leistungen der ge...

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