Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Beschluss vom 22.06.1995; Aktenzeichen 17 Ca 10012/94)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 22.06.1995 – 17 Ca 10012/94 – abgeändert:

Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen wird für zulässig erklärt.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf DM 18.000,00 festgesetzt.

 

Gründe

Die gemäß § 48 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit § 17 a Abs. 4 S. 3 GVG an sich statthafte, gemäß §§ 75 Abs. 1 ArbGG, 577 Abs. 2 ZPO auch im übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Denn die Klägerin war entgegen der vom Arbeitsgericht geteilten Auffassung der Beklagten nicht als Handelsvertreterin, sondern als Arbeitnehmerin für die Beklagte tätig, so daß für die auf die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der von der Beklagten mit Schreiben vom 10.10.1994 (ABl. 2) ausgesprochenen fristlosen Kündigung sowie auf die Verurteilung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung der Klägerin gerichtete Klage der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG gegeben ist. Hierzu ist im wesentlichen auszuführen:

1. Die Klägerin gehörte zu dem Personenkreis derjenigen, die ständig damit betraut sind, für einen anderen, hier die Beklagte, Geschäfte zu vermitteln. Ihre Rechtsstellung ist demgemäß in § 84 HGB geregelt. Erfüllte sie das in § 84 Abs. 1 S. 2 HGB aufgestellte Merkmal der Selbständigkeit, dann war sie Handelsvertreterin; andernfalls ist sie gemäß § 84 Abs. 2 HGB als Angestellte anzusehen.

Nach der Bestimmung des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB ist selbständig, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und deshalb persönlich abhängig ist dagegen der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Dies ist der Fall, wenn der Mitarbeiter in eine von Dritten bestimmte Arbeitsorganisation eingegliedert ist. Die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, daß der Mitarbeiter einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt, wobei dieses Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen kann (vgl. etwa BAG AP Nr. 73, 74 zu § 611 BGB „Abhängigkeit” mit Nachweisen).

Für die Abgrenzung von Bedeutung sind demnach in erster Linie die Umstände, unter denen die Dienstleistung zu erbringen ist, also die materiellen Merkmale, und nicht die formalen Merkmale, wie die Modalitäten der Bezahlung, die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Behandlung, die Regelung wegen gewerbe- und handelsrechtlicher Vorschriften oder etwa die Führung von Personalakten (vgl. BAG a.a.O.; AP Nr. 2 zu § 92 HGB). Ob der mit der Vermittlung von Geschäften Betraute im Einzelfall Handelsvertreter (§ 84 Abs. 1 HGB) oder Handlungsgehilfe (§ 84 Abs. 2 HGB) ist, ist daher in erster Linie nach den materiellen Abgrenzungskriterien, wozu die Weisungsfreiheit, die Freiheit im Einsatz der Arbeitskraft, das eigene Unternehmen und das eigene Unternehmerrisiko gehören, zu beurteilen, und zwar anhand der das Rechtsverhältnis prägenden charakteristischen Merkmale, so wie sie sich aus dem Inhalt des Vertrages und der praktischen Durchführung und Gestaltung der Vertragsbeziehungen ergeben. Widersprechen Vereinbarungen und tatsächliche Durchführung des Vertrages einander, so ist die letztere maßgeblich. Denn die praktische Handhabung läßt Rückschlüsse darauf zu, von welchen Rechten und Pflichten die Parteien in Wirklichkeit ausgegangen sind. Dagegen ist für die Einordnung des Rechtsverhältnisses eine von den Parteien gewählte Bezeichnung oder gewünschte Rechtsfolge, die dem Geschäftsinhalt in Wahrheit nicht entspricht, unerheblich. Denn der Status des Beschäftigten richtet sich nicht nach den Wünschen und Vorstellungen der Vertragspartner, sondern danach, wie die Vertragsbeziehung nach ihrem Geschäftsinhalt objektiv einzuordnen ist, weil die Bewertung einer Rechtsbeziehung als Arbeitsverhältnis und der Geltungsbereich des Arbeitnehmerschutzrechts durch Parteivereinbarung nicht abbedungen werden kann (vgl. etwa BAG AP Nr. 73 zu § 611 BGB „Abhängigkeit”).

2. Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist das zwischen den Parteien mündlich begründete Vertragsverhältnis nicht als – freies – Handelsvertreterverhältnis, sondern als Arbeitsverhältnis zu werten. Die Beschwerde weist zutreffend darauf hin, daß das Vertragsverhältnis nur formal, also der äußeren Gestaltung nach, nicht aber auch inhaltlich als freies Handelsvertreterverhältnis ausgestaltet gewesen sei.

a) Zwar kann ein Handelsvertreterverhältnis auch formfrei begründet werden. Von welchen gegenseitigen Rechten und Pflichten die Parteien im Streitfall beim Abschluß des Vertrages ausgegangen sind, ist aber nicht dargelegt. Insbesondere ist nicht einmal behauptet, daß bereits beim Vertragsabschluß die Modalitäten der geschuldeten Vermittlungstätigkeit insbesondere nach Art, Ort und Umfang näher festgelegt worden seien, was bereits ein gewic...

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