Entscheidungsstichwort (Thema)

Verstoß gegen Unterrichtungs- und Anhörungsrechte des Europäischen Betriebsrats. Bußgeldverpflichtung der Arbeitgeberin als gesetzlich bestimmte Maßnahme für den Fall der Nichteinhaltung der zugrundeliegenden EU-Richtlinie. Unbegründeter Unterlassungsantrag des Europäischen Betriebsrats zur Verhinderung betriebsbedingter Kündigungen ohne ordnungsgemäße Unterrichtung

 

Leitsatz (amtlich)

Das EBRG sieht als Sanktion für den Verstoß gegen die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte des Europäischen Betriebsrats nach § 30 EBRG lediglich ein Bußgeld nach § 45 EBRG vor. Es fehlt eine dem § 23 Abs. 3 BetrVG entsprechende Vorschrift, wonach dem Betriebsrat bei groben Verstößen des Arbeitgebers ein Unterlassungsanspruch zusteht (im Anschluss an Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 08. September 2011 - 13 Ta 267/11 -, Rn. 30, [...]). Ein solcher Unterlassungsanspruch ergibt sich nicht aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 30 EBRG. Nach Art. 11 Abs. 2 RL 2009/38/EG sehen die Mitgliedstaaten für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie geeignete Maßnahmen vor; da die Richtlinie keine konkreten Sanktionen für den Fall der Verletzung der Unterrichtungspflicht vorsieht, ist es nicht zu beanstanden, dass der nationale Gesetzgeber sich dafür entschieden hat, eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit als Sanktion einzuführen.

 

Normenkette

BetrVG § 23 Abs. 3; EBRG §§ 30, 45; EGRL 38/2009 Art. 11 Abs. 2 Fassung: 2009-05-06

 

Verfahrensgang

ArbG Lörrach (Entscheidung vom 29.04.2015; Aktenzeichen 5 BV 8/14)

 

Tenor

  1. Die Beschwerde des Beteiligten 1 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Lörrach, Kammern Radolfzell vom 29.04.2015, Az. 5 BV 8/14 wird zurückgewiesen.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
 

Tatbestand

A.

Die Beteiligten streiten über das Bestehen von Unterlassungsansprüchen für den Fall von Betriebsverlegungen, Stilllegungen oder Massenentlassungen vor ordnungsgemäßer Information des Europäischen Betriebsrates.

Der Beteiligte zu 1 ist der für die A-Gruppe in Europa gebildete Europäische Betriebsrat. Die Beteiligte zu 2 hat ihren Sitz in S1 und beschäftigt als Gesellschaft mit der größten Arbeitnehmeranzahl der Unternehmen der A-Gruppe weltweit derzeit 1.150 Arbeitnehmer. Hauptsitz der A.-Gruppe ist M./A. Die Beteiligten zu 3 bis 54 sind weitere Konzerngesellschaften der Ar-Gruppe in Europa.

Anlass der Auseinandersetzung ist der Umstand, dass die Beteiligte zu 54 das von ihr betriebene Werk im Jahr 2014 in N1 geschlossen hat und die Produktion zur Beteiligten zu 50 nach L. in P. verlagert worden ist.

Über die Errichtung des Beteiligten zu 1, dem Europäischen Betriebsrat der A-Gruppe, besteht zwischen der A.Gruppe Europa und den Betriebsräten sowie betrieblichen Arbeitnehmervertretungen der A.-Gruppe in Europa eine Vereinbarung vom 23.10.2002 (AS 24 ff. der arbeitsgerichtlichen Akte - künftig: EBR-Vereinbarung).

Die EBR-Vereinbarung regelt unter Ziffer 10:

"10. Unterrichtung und Anhörung über außergewöhnliche Umstände

10.1 Über außergewöhnliche Umstände, die erhebliche Auswirkungen auf die Interessen der Arbeitnehmer/-Innen in mindestens 2 A.-Betrieben in verschiedenen Staaten haben können, hat die Leitung der A.-Gruppe in Europa den Ausschuss bzw. den EBRA rechtzeitig und soweit wie möglich umfassend vor endgültigen Entscheidungen unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten und auf Verlangen anzuhören. Als außergewöhnliche Umstände gelten insbesondere:

- Die Verlegung von Unternehmen oder Betrieben oder wesentlichen Betriebsteilen;

- Die Stilllegung von Unternehmen, Betrieben oder wesentlichen Betriebsteilen;

- Massenentlassungen

10.2 Erfolgt die Unterrichtung und Anhörung nicht vor dem EBRA, sondern vor dem Ausschuss, sind zu den Sitzungen auch diejenigen Mitglieder des EBRA einzuladen, die für die Betriebe oder Unternehmen bestellt wurden, die unmittelbar von der geplanten Maßnahme betroffen sind. Sie gelten insoweit als Ausschussmitglieder."

Die Beteiligten sind im Hinblick auf die Betriebsschließung des Werkes der Beteiligten zu 54 in N1 und die Verlagerung der dortigen betrieblichen Tätigkeiten der Beteiligten zu 50 nach L. insbesondere unterschiedlicher Auffassung darüber, ob die Unterrichtung rechtzeitig vorgenommen worden ist. Wegen des erstinstanzlichen widerstreitenden Sachvortrags der Beteiligten wird auf AS 8 - 11 für den Beteiligten zu 1, sowie AS 178 - 180 für die übrigen Beteiligten Bezug genommen.

Mit seinem am 17.10.2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag begehrt der Beteiligte zu 1 im Wesentlichen, die Beteiligten zu 2 - 53 zu verpflichten, es zu unterlassen, Arbeitnehmern betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, solange der Beteiligte zu 1 nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden ist.

Dazu hat der Beteiligte zu 1 vor dem Arbeitsgericht vorgetragen, er habe aufgrund der Rechtsverletzung der Verpflichtungen aus Ziffer 10.1 der EBR-Vereinbarung anlässlich der Schließung des Werkes der Beteiligten zu 54 in N1 Unterlassungsansprüche gegen die übrigen Beteiligt...

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