Entscheidungsstichwort (Thema)

Erörterung der Voraussetzungen des § 56 Abs. 3 StGB bei Straftaten nach § 114 StGB

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB ist ohne Einschränkung auf einen bestimmten Deliktsbereich - etwa einschlägige Delikte - zu prüfen, ob der Angeklagte künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird.

2. Bei einem mehrfach und dabei auch wiederholt einschlägig vorbestraften Täter, der schon frühere Bewährungsfristen nicht bestanden oder die neue Tat während laufender Bewährung - insbesondere innerhalb einer Bewährungszeit aus einer einschlägigen Verurteilung - begangen hat, sind erhöhte Anforderungen an die Begründung einer dennoch bewilligten erneuten Strafaussetzung zu stellen.

3. Zu den Delikten, bei denen die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Strafe eher gebieten kann als bei anderen, gehören Straftaten nach § 114 StGB. Daneben können auch eine Häufung von Straftaten, einschlägige Vorstrafen und die Rückfälligkeit in der Bewährungszeit Anlass für eine Erörterung der Voraussetzungen des § 56 Abs. 3 StGB geben.

 

Normenkette

StGB § 56 Abs. 1, 3, § 114

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 08.06.2021; Aktenzeichen (572) 233 Js 3177/19 Ns (20/20))

 

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Juni 2021 im Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin das amtsgerichtliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, dass es die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hat. Die gegen das Berufungsurteil gerichtete und auf die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der diese die Verletzung materiellen Rechts rügt, wird von der Generalstaatsanwaltschaft vertreten. Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg.

1. Das Landgericht hat - was das Revisionsgericht im Falle einer zulässigen Revision von Amts wegen zu prüfen hat (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 4. Mai 2017 - [5] 121 Ss 42/17 [32/17] - juris Rn. 4, m. w. Nachw.) - zu Recht eine wirksame Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch angenommen. Die tatsächlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils sind ausreichend, um den Schuldspruch wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte zu tragen, und bieten so eine hinreichende Grundlage für eine gesonderte Überprüfung des Strafausspruchs. Hingegen geht die vom Landgericht vorgenommene Beschränkung der Strafverfolgung nach § 154a Abs. 2 StPO ins Leere, da schon das Amtsgericht nur wegen einer Straftat nach § 114 StGB und nicht auch wegen einer tateinheitlich mitverwirklichten Tat des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB verurteilt hatte. Mit Eintritt der so genannten horizontalen Rechtskraft wird jede Stoffbeschränkung nach § 154a StPO, die einen Eingriff in diesen bindenden Teil der Entscheidung und der Feststellungen zur Folge hätte, unzulässig (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 27. Dezember 2005 - 83 Ss 72/05 - juris Rn. 10. m. w. Nachw.).

2. Die Beschränkung der Revision der Staatsanwaltschaft auf den Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung ist ebenfalls wirksam.

a) Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ist ein selbständiger Teil des Urteilsspruchs (vgl. § 260 Abs. 4 Satz 4 StPO). Sie kann isoliert angefochten werden, wenn sich die der Bewährungsentscheidung zugrunde liegenden Erwägungen von denen der Strafzumessung trennen lassen (vgl. Senat, Urteile vom 16. November 2018 - [5] 121 Ss 139/18 [62/18] - und vom 22. Juli 2016 - [5] 161 Ss 52/16 [7/16] - juris Rn. 3, jeweils m. w. Nachw.). An der Trennbarkeit fehlt es nicht schon dann, wenn sich die bei der Strafzumessung und der Aussetzungsentscheidung jeweils berücksichtigten Tatsachen überschneiden. Da beides eine Gesamtwürdigung erfordert, verknüpfen doppelrelevante Feststellungen die Entscheidungsbereiche regelmäßig; es ist offensichtlich und vom Gesetzgeber in § 46 Abs. 2 StGB einerseits und § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB andererseits vorgesehen, dass die Tatsachen, welche die Zumessung der Strafe im engeren Sinne mitbestimmen, auch für die Aussetzungsentscheidung wesentliche Bedeutung erlangen. Die gesonderte Anfechtung der Entscheidungen hindert dies nicht (vgl. Senat, a.a.O., m. w. Nachw.).

Die Beschränkung der Revision auf die Aussetzungsentscheidung ist jedoch unwirksam, wenn die Tatsachenfeststellungen und Erwägungen zum Strafmaß so unzul...

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