Leitsatz (amtlich)

Müssen nach einem Gesellschaftsvertrag sowohl bei der Beschlussfassung in der Versammlung der Gesellschafter als auch bei einer schriftlichen Beschlussfassung 75 % der "anwesenden" Gesellschafter einem Beschlussantrag zustimmen, müssen bei einer schriftlichen Abstimmung 75 % sämtlicher Gesellschafter zustimmen. Bei einer schriftlichen Abstimmung sind sämtliche Gesellschafter als "anwesend" anzusehen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 06.11.2008; Aktenzeichen 104 O 91/07)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 19.07.2011; Aktenzeichen II ZR 153/09)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Kläger zu 1) und 2) wird das am 6.11.2008 verkündete Urteil des LG Berlin - 104 O 91/07 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass folgende, im Wege schriftlicher Abstimmung nach dem Umlaufverfahren vom 25.5.2007 gefassten Beschlüsse unwirksam sind:

Beschluss I: § 16 Abs. 2 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages der ... mbH & Co. Immobilien Verwaltungs KG - ... -, wird vollständig neu gefasst und lautet: "Soweit Beschlüsse nach lit. A), c), f) g) j) k) und l) gefasst werden, bedarf es einer ¾ Mehrheit der abgegebenen Stimmen;

Beschluss II: § 16 Abs. 2 Satz 3 des Gesellschaftsvertrages der ... mbH & Co. Immobilien Verwaltungs KG - ... -, der wie folgt lautet, "Sind 90 % oder mehr der Gesellschaftsanteile auf fünf oder weniger Personen vereinigt, sind die vorgenannten Beschlüsse einstimmig zu fassen", wird ersatzlos aufgehoben;

Beschluss III: § 16 Abs. 2 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages der ... mbH & Co. Immobilien Verwaltungs KG - ... -, der wie folgt lautet, "Sind 75 % oder mehr der Gesellschaftsanteile auf fünf oder weniger Personen vereinigt, tritt an die Stelle der ¾ Mehrheit die 9/10 Mehrheit", wird ersatzlos aufgehoben.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Kläger zu 3) und 4) jeweils ¼ der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten sowie deren Streithelferin zu tragen. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten fallen ihnen selbst zu Last. Die Streithelferin der Beklagten trägt ½ ihrer außergerichtlichen Kosten. Die übrigen Kosten trägt die Beklagte.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, jedoch mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Streithelferin, die diese selbst trägt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages zzgl. 10 Prozent abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zzgl. 10 Prozent leisten.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

A. Die Kläger zu 1) und 2) begehren wegen angeblicher formeller und materieller Beschlussmängel die Feststellung, dass drei im Wege der schriftlichen Abstimmung gefasste, den Gesellschaftsvertrag der Beklagten jeweils abändernde Beschlüsse unwirksam sind. Das bei der Beklagten geltende Abstimmungsverfahren regeln im Wesentlichen §§ 16 und 17 ihres Gesellschaftsvertrages. Es heißt dort u.a.:

§ 16 Abs. 2: Soweit Beschlüsse nach lit. a), c), f) g) j) k) und l) gefasst werden, bedarf es einer Mehrheit der anwesenden Stimmen. Sind 75 % oder mehr der Gesellschaftsanteile auf fünf oder weniger Personen vereinigt, tritt an die Stelle der ¾ Mehrheit die 9/10 Mehrheit. Sind 90 % oder mehr der Gesellschaftsanteile auf fünf oder weniger Personen vereinigt, sind die vorgenannten Beschlüsse einstimmig zu fassen.

§ 17 Abs. 1: Die Beschlüsse können in Gesellschafterversammlungen oder im Wege schriftlicher Abstimmung gefasst werden.

§ 17 Abs. 2 S. 2: Ein Beschluss im Wege schriftlicher Abstimmung kommt nur zustande, wenn mindestens 10 % der Stimmen aller Gesellschafter an der Abstimmung teilnehmen.

§ 17 Abs. 3: Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bedürfen grundsätzlich der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sofern nicht in diesem Vertrag oder durch das Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Stimmenthaltungen gelten als nicht abgegebene Stimme; bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt.

Wegen der weiteren Bestimmungen wird auf den Gesellschaftsvertrag, Anlage K 3, verwiesen.

Die Streithelferin schlug als geschäftsführende Kommanditistin den Gesellschaftern der Beklagten mit Schreiben vom 25.5.2007 vor, im Wege schriftlicher Abstimmung § 16 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages der Beklagten in drei Punkten zu ändern. Mit den Änderungen sollten die für einen auf § 16 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages beruhenden Beschluss notwendigen Mehrheiten umgeformt werden. Die notwendigen Mehrheiten sollten sich - jedenfalls dem Wortlaut nach - erhöhen, soweit es für bestimmte Beschlussgegenstände nur einer (einfachen) Mehrheit der anwesenden Stimmen bedurfte. Und sie sollten sich verringern, wenn 75 % oder 90 % der Gesellschaftsanteile von fünf oder weniger Personen gehalten werden. Wegen des genauen Wortlauts der zur Abstimmung gestellten Beschlüsse wird auf das Schreiben der Streithelferin vom 25.5.2007 (Anlage K 1) verwiesen.

Mit Schreiben vom Anfang Juli 2007 teilte die...

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