Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung der Regulierungsentscheidung des VN bei treuwidriger Verzögerung der Deckungsentscheidung des Haftpflichtversicherers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch unter der Geltung des neuen Haftpflichtversicherungsrechts nach dem VVG 2008 ist der Haftpflichtversicherer an die Regulierungsentscheidung des VN durch Befriedigung der Haftpflichtforderung gebunden, wenn er seine Deckungsentscheidung - Gewährung von Abwehrdeckung oder Freistellung gemäß § 100 VVG - treuwidrig verweigert oder verzögert. Die Bindungswirkung folgt aus der Verletzung der Hauptpflicht zur Prüfung der Haftpflichtfrage, die der Ermessensentscheidung über die Art der gewährten Deckung (Abwehr oder Freistellung gemäß § 100 VVG) vorausgeht und beinhaltet, sich rechtzeitig und unmissverständlich gegenüber dem VN zu erklären, ob und in welcher Weise er den Versicherungsschutz gemäß § 100 VVG gewährt.

2. Eine an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung im Sinne des § 2 Abs. 2 b) AV-Haftpflicht liegt nicht vor, wenn der VN Pflichten aus einem Treuhandvertrag nicht ordnungsgemäß erfüllt und deshalb aus dem zugrunde liegenden Auftragsverhältnis nichts erlangt hat, was er an den Treugeber gemäß § 667 BGB herausgeben könnte.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 16.01.2019; Aktenzeichen 23 O 200/17)

 

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16.01.2019, Az. 23 O 200/17, wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Berlin ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 105 Prozent des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 105 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist eine öffentlich-rechtliche Sparkasse, die zum 1. Januar 2012 aus einem Zusammenschluss der Kreissparkasse A. und zwei weiterer Sparkassen .... als Rechtsnachfolgerin hervorgegangen ist. Sie ist Mitglied des Beklagten, eines nicht rechtsfähigen Zusammenschlusses (Anlage K 1), der nach den geltenden Allgemeinen Verrechnungsgrundsätzen für Haftpflichtschäden (AV Haftpflicht, Anlage K 2) seinen Mitgliedern, die einen entsprechenden Deckungsschutzvertrag abgeschlossen haben, unter anderem Versicherungsschutz in Haftpflichtfällen gewährt.

In § 1 AV Haftpflicht heißt es:

"(1) Deckungsschutz besteht für den Fall, dass das Mitglied aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. (...)

(2) Der Deckungsschutz umfasst die Prüfung der Haftpflichtfrage, die Abwehr unberechtigter Haftpflichtansprüche und die Freistellung des Mitglieds von berechtigten Haftpflichtansprüchen. Berechtigt sind Haftpflichtansprüche dann, wenn das Mitglied aufgrund Gesetzes, rechtskräftigen Urteils, Anerkenntnisses oder Vergleiches zum Schadenersatz verpflichtet ist und der KSA hierdurch gebunden ist. Anerkenntnisse und Vergleiche, die vom Mitglied ohne Zustimmung des KSA abgegeben oder geschlossen worden sind, binden den KSA nur, soweit der Anspruch auch ohne Anerkenntnis oder Vergleich bestehen würde. (...)"

In § 2 Abs. 2 AV Haftpflicht heißt es:

"(2) Kein Deckungsschutz besteht für:

(...)

b) Ansprüche auf Erfüllung eines Vertrages oder auf eine an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung".

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage von dem Beklagten Erstattung eines Betrages, den sie selbst an die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gezahlt hat. Sie beruft sich darauf, bei der erfüllten Forderung der KfW habe es sich um eine Haftpflichtforderung im Sinne der AV Haftpflicht gehandelt.

Dem liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:

Die Kreissparkasse A. als Rechtsvorgängerin der Klägerin (im Folgenden: Kreissparkasse) gewährte ihrem Kunden G. im Jahr 2002 im Rahmen einer Existenzgründungsunterstützung verschiedene Darlehen. Mit dem aus der Anlage K 22 ersichtlichen Antrag vom 26. Februar 2002, den sie an die gbb Beteiligungs-AG richtete, beantragte die Kreissparkasse bei der Deutschen Ausgleichsbank (DtA) die Übernahme einer Bürgschaft nach den Bedingungen des DtA-Bürgschaftsprogramms, wobei der Kreditnehmer G. die in Ziffern 2 und 3 vorgedruckten Erklärungen unter dem 25. Februar 2002 und den Inhalt der Anlage zum Antrag unter dem 4. Februar 2002 unterzeichnet hatte. Unter Ziffer 7.1 des Antragsformulars erkannte die Kreissparkasse die Allgemeinen Bestimmungen des DtA-Bürgschaftsprogrammes und das Merkblatt zum DtA-Bürgschaftsprogramm in den derzeit gültigen Fassungen an.

Unter dem 2. Mai 2002 übersandte die DtA der Kreissparkasse die aus der Anlage K 8 ersichtliche Bürgschaftsurkunde. Hiernach übernahm die DtA jeweils Ausfallbürgschaften, begrenzt auf 70,82 % der jeweiligen Kreditvaluten, für drei bezeichnete Kredite in Höhe von insg...

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