Leitsatz (amtlich)

1. Ein Anspruch, aus einem bestimmten Grund freigesprochen zu werden, besteht nicht. Daher ist für das Begehren, lediglich eine andere Begründung des Freispruchs zu erreichen, kein Rechtsmittel gegeben. Dies gilt auch dann, wenn der Freispruch wegen Schuldunfähigkeit erfolgt.

2. Mittelbare Folgen des Verfahrens, etwa der gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 BZRG zwingende Registereintrag oder Verwaltungsangelegenheiten, begründen keine Beschwer, die zur Zulässigkeit des Rechtsmittels führt

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 18.08.2020; Aktenzeichen (567) 3021 Js 1075/19 Ns (75/20))

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Freigesprochenen gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 18. August 2020 wird als unbegründet verworfen.

2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtmittels zu tragen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat die Beschwerdeführerin am 21. Oktober 2019 vom Vorwurf des Missbrauchs von Notrufen "wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen". Gegen dieses Urteil hat sich die Freigesprochene mit ihrer am 12. Dezember 2019 eingegangenen Eingabe vom 11. Dezember 2019 gewandt und die "Aufhebung des Urteils" gefordert. Mit am 21. Juli 2020 eingegangenem Schreiben vom selben Tage hat sie mitgeteilt, die Entscheidung "mit Berufung bzw. Revision" anzufechten, woraufhin die Akte dem Landgericht Berlin vorgelegt wurde. Das Landgericht hat die Schreiben als Berufung ausgelegt (obgleich die Frist zur Wahl einer Sprungrevision noch nicht abgelaufen ist, da noch kein ordnungsgemäßes, nicht nur vom Richter, sondern auch der Protokollführerin unterzeichnetes Protokoll vorliegt) und diese durch den angefochtenen Beschluss als unzulässig, da nicht innerhalb der Wochenfrist des § 314 Abs. 1 StPO eingelegt, verworfen. Die Frage, ob der Beschwerdeführerin von Amts wegen Widereinsetzung in die Fristversäumung hätte gewährt werden müssen, weil dieser - zutreffend - keine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden war (vgl. §§ 35a Satz 1, 44 Satz 2 StPO), hat das Landgericht nicht geprüft.

Die gegen den Beschluss des Landgerichts vom 18. August 2020 gerichtete, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Freigesprochenen hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat das Rechtsmittel der Angeklagten im Ergebnis zutreffend als unzulässig verworfen.

Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist eine Beschwer. Durch den Freispruch ist die Angeklagte jedoch nicht beschwert. Sie kann kein günstigeres Ergebnis als den Freispruch erzielen. Ein Anspruch, aus einem bestimmten Grund freigesprochen zu werden, besteht nicht, weil die Aufgabe des Strafverfahrens in der justizförmigen Prüfung liegt, ob gegen den jeweiligen Angeklagten ein staatlicher Strafanspruch besteht. Daher ist für das Begehren, lediglich eine andere Begründung des Freispruchs zu erreichen, kein Rechtsmittel gegeben. Dies gilt auch dann, wenn der Freispruch wegen Schuldunfähigkeit erfolgt (vgl. ausführlich hierzu BGH NStZ 2016, 560; BGHSt, 16, 374; Senat, Beschluss vom 28. August 2000 - 4 Ws 150/00 - [juris]; OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 345; jeweils m.w.N.). Mittelbare Folgen des Verfahrens, etwa der gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 BZRG zwingende Registereintrag oder Verwaltungsangelegenheiten, begründen keine Beschwer, die zur Zulässigkeit des Rechtsmittels führt (vgl. BGH aaO; Senat aaO).

a) Eine besondere Ausnahmefallkonstellation, in der das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 28, 151) einen selbständigen Grundrechtsverstoß und damit eine selbständige Beschwer aufgrund der Ausführungen in den Urteilsgründen für möglich (wenn auch in dem damaligen Verfahren nicht gegeben) erachtet hat, liegt hier nicht vor. Eine solche Ausnahmekonstellation wurde für Fälle erwogen, in denen die Entscheidungsgründe den Angeklagten so sehr belasteten, dass eine erhebliche, ihm nicht zumutbare Beeinträchtigung eines grundrechtlich geschützten Bereichs festzustellen sei, die durch den Freispruch nicht aufgewogen werde. Dies sei nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidungsgründe einzelne, den Beschwerdeführer belastende oder für ihn "unbequeme" Ausführungen enthielten oder Mängel aufwiesen, die vielleicht in einem Revisionsverfahren mit Erfolg gerügt werden könnten (vgl. BVerfG aaO).

Vorliegend sind die - äußerst knappen - Entscheidungsgründe sachlich formuliert, eine selbständige Grundrechtsverletzung enthalten sie nicht.

b) Soweit das Bundesverfassungsgericht - allerdings in einem arbeitsrechtlichen Verfahren - unter Hinweis auf die Rechtsprechung zum Eingreifen bei strafprozessualen Einstellungsentscheidungen (vgl. BVerfGE 140, 42 mit Verweis auf die Beschlüsse vom 15. Oktober 2004 - 2 BvR 1802/04 -, 6. September 2004 - 2 BvR 1280/04 - und 6. April 1999 - 2 BvR 456/99 -) die Möglichkeit angedeutet hat, dass eine Ausnahme von dem in allen Verfahrensarten geltenden Grundsatz, dass sich eine Beschwer nur aus dem Tenor, nicht jedoch aus den Entscheidungsgründen ergeben kann, in eng begrenzten Fällen grob prozessualen Unrechts gemacht werden könne sowie ...

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