Leitsatz (amtlich)

Die durch den Mitgesellschafter einer GmbH unter Anmaßung einer Alleingesellschafterstellung ohne Einbeziehung und Information des anderen Gesellschafters herbeigeführte Beschlussfassung über Änderungen des Gesellschaftsvertrages, mittels welcher Vetorechte zu Lasten des Mehrheitsgesellschafters eingeführt werden, kann eine widerrechtliche Verletzung des nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Mitgliedschaftsrechts begründen.

Dem Anspruch des Gesellschafters einer GmbH gegen einen Mitgesellschafter, an Änderungen des Gesellschaftsvertrages mit Wirkung für die Zukunft mitzuwirken, steht die Bestandskraft des Beschlusses, mit welchen die abzuändernden Regelungen des Gesellschaftsvertrages herbeigeführt wurden, nicht entgegen. Dies gilt auch dann, wenn der Anspruch gerade auf die pflichtwidrige Herbeiführung der seinerzeitigen Beschlussfassung gestützt wird und ein hieraus folgender etwaiger Beschlussmangel inzwischen analog § 242 Abs. 2 AktG geheilt wäre.

Wird eine Regelung im Gesellschaftsvertrag einer GmbH dahin geändert, dass einem Mitgesellschafter nunmehr eine Veto-Position zu bestimmten Beschlussfassungen zukommt, so hat dieser hierdurch "etwas erlangt" i.S.v. § 852 Satz 1 BGB. Bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 852 Satz 1 BGB kann daher Mitwirkung an der Rückgängigmachung der Änderungen des Gesellschaftsvertrages innerhalb der zehnjährigen Verjährungsfrist des § 852 Satz 2 BGB verlangt werden.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 104 O 79/17)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 06.12.2022; Aktenzeichen II ZR 187/21)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der Kammer für Handelssachen 104 des Landgerichts Berlin vom 11. Oktober 2018, Aktenzeichen 104 O 79/17 abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, der Änderung der §§ 11 (3) Satz 1, (4) Sätze 2 und 3, und 12(2) des Gesellschaftsvertrags der F. GmbH mit Sitz in Berlin, eingetragen im Handelsregister beim Amtsgericht Charlottenburg (Berlin) unter HRB ... B, in die folgenden Fassungen zuzustimmen:

§ 11 (3) Satz 1:

"Eine Gesellschafterversammlung ist nur beschlussfähig, wenn mindestens 75% des Stammkapitals vertreten sind. Sind weniger als 75% des Stammkapitals vertreten, ist unter Beachtung von Abs. 2 eine neue Gesellschafterversammlung mit gleicher Tagesordnung einzuberufen."

§ 11 (4) Sätze 2 und 3:

"Die Versammlung wählt mit Mehrheit der abgegebenen Stimmen einen Vorsitzenden. Dieser leitet die Versammlung."

§ 12 (2):

"Gesellschafterbeschlüsse werden mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefaßt, soweit nicht in Gesetz oder Gesellschaftsvertrag eine andere Mehrheit vorgehsehen ist. Folgende Gesellschafterbeschlüsse sind mit einer Mehrheit von 85% zu fassen:

a) Änderung des Gesellschaftsvertrages;

b) Änderung des Gegenstands der Gesellschaft;

c) Geschäftsführerbestellung und -abberufung;

d) Kreditaufnahmen und Wechselverpflichtungen, soweit diese EUR 100.000 im Einzelfall und EUR 250.000 kumuliert übersteigen."

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird für die Beklagte in dem aus den Entscheidungsgründen ersichtlichen Umfang zugelassen.

 

Gründe

A. Die Parteien streiten um die Änderung des Gesellschaftsvertrags einer GmbH. Die ursprünglich als B. AG firmierende Klägerin, welche nach ihrer Auffassung 80% der Gesellschaftsanteile an der F. GmbH hält und inzwischen auch entsprechend in der Gesellschafterliste eingetragen ist, verlangt von der Beklagten, welche weitere 20 % der Gesellschaftsanteile an der Gesellschaft hält, Änderungen des Gesellschaftsvertrages dahin zuzustimmen, in einer Gesellschaftsversammlung vom 20.10.2011 allein mit den Stimmen der Beklagten beschlossene Änderungen des Gesellschaftsvertrages, mittels welchen u.a. bestimmte Quoren für die Beschlussfähigkeit sowie Beschlussfassung auf 85 % heraufgesetzt worden sind, wieder rückgängig zu machen.

Hinter der Klägerin steht nach dem Vortrag der Beklagten ein Herr P. Geschäftsführer der F. GmbH ist ein Herr S., der jedenfalls früher auch Mehrheitsgesellschafter der Beklagten war und jedenfalls früher (aus Sicht der Klägerin auch heute noch) über diese wirtschaftlich (Mit-) Berechtigter an dem von der Beklagten gehaltenen Gesellschaftsanteil an der F. GMBH war bzw. ist.

Im Jahr 2006 war Herr P. als Investment-Manager des Beraters eines Unternehmens tätig, das für die Geschäftsanteile der B. GmbH (im Folgenden: B. GmbH) einen Käufer suchte. In diesem Zusammenhang nahm er Kontakt mit Herrn S. auf, der ihm aus früheren Geschäften bekannt war, um die Möglichkeit einer gemeinsamen Übernahme der B. GmbH zu erörtern.

Am 25.04.2006 wurde die F. GMBH, deren Geschäftsanteile nach dem Gesellschaftsver...

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