Leitsatz (amtlich)

1. Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) kann Räume zur eigenen Wohnnutzung (durch ihre Gesellschafter) anmieten und damit ein Wohnraummietverhältnis i.S. von §§ 549 ff BGB begründen.

2. Zur Auslegung, ob ein Wohnraummietverhältnis oder ein Gewerberaummietverhältnis vorliegt.

3. Eine auf Zahlungsverzug gestützte Kündigung, die vor Fälligkeit der Zahlungsforderung und damit verfrüht zugeht, ist unwirksam. Die Beweislast für den "späten Zugang" trifft in diesem Fall den Kündigenden.

4. Zum Meinungsstand betreffend den Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung (§ 130 Abs. 1 BGB), wenn das Schreiben am Nachmittag in den Hausbriefkasten des Adressaten eingeworfen wird.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 4 O 150/18)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 27.07.2018 verkündete Urteil

des Landgerichts Berlin -4 O 150/18- abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Von der Wiedergabe tatsächlicher Feststellungen wird nach den §§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen, weil ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Senats unzweifelhaft nicht zulässig ist. Die für eine Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH

nach § 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO erforderliche Beschwer von über 20.000,00 EUR ist nicht erreicht, da insoweit analog § 9 ZPO der 3,5-fache Jahresbetrag der Nettomiete (s. BGH, Beschl. v. 17.01.2017 -VIII ZR 178/16, Beschl. v. 16.02.2005 -XII ZR 46/03), also ohne Nebenkostenvorschüsse (s. ausführlich BGH, Beschl. v. 08.12.2015 -VIII ZR 129/15) maßgeblich ist, die Nettomiete vorliegend 440 EUR monatlich beträgt (s. § 7 des Mietvertrags und Wertangabe der Klägerin im Schriftsatz vom 03.08.2017) und die Beschwer der Klägerin damit 42 × 440 EUR = 18.480 EUR beträgt.

B. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Mieträume ... Berlin, Erdgeschoss rechts, nach § 546 Abs. 1 bzw. § 546 Abs. 2 BGB nicht zu, da das Mietverhältnis ungekündigt fortbesteht.

I. Auf die Frage, ob das zwischen der Klägerin (durch Eintritt nach § 566 BGB) und der Beklagten zu 1 begründete Mietverhältnis über die Räume bestehend aus zwei Zimmern, Küche und Bad, die nach § 1 des Mietvertrags mit dem Mietzweck "Büro + Wohnzwecke" vermietet wurden, ein solches über Wohnräume oder über Geschäftsräume ist, kommt es für die sachliche Zuständigkeit nicht an, da die Berufung nach § 513 Abs. 2 ZPO nicht darauf gestützt werden kann, dass das erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.

II. Die ordentliche Kündigung vom 22.12.2016 (K 4) hat das Mietverhältnis entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zum 30.06.2017 beendet, da es sich um ein Wohnraummietverhältnis handelt und eine grundlose Kündigung somit nach §§ 575 Abs. 1 S. 2, 573 Abs. 1, 2 BGB ausscheidet.

1) Die Frage, ob ein Wohn- oder ein Gewerberaummietverhältnis vorliegt, richtet sich nicht etwa nach der Bezeichnung, welche die Parteien für den schriftlichen Vertrag wählen, sondern nach ihrem tatsächlichen Willen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Dieser ist nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen der §§ 133, 157 BGB festzustellen. Die Bezeichnung des Vertrags ist insoweit lediglich ein Indiz unter anderen, um den Willen zu ermitteln (s. BGHZ 202, 39 = NJW 2014, 2864 Tz. 37; NJW 2018, 2472 Tz. 33; Senat MDR 2010, 1446 -juris Tz. 29 f.). Ein Wohnraummietverhältnis liegt vor, wenn die Räume nach übereinstimmendem Willen der Vertragsschließenden zur zumindest überwiegenden Wohnnutzung vermietet sind; lässt sich in einem sog. Mischmietverhältnis ein Überwiegen der gewerblichen Nutzung nicht feststellen, ist zur Vermeidung der Umgehung der Schutzvorschriften zugunsten des Wohnraummieters von einem Wohnraummietvertrag auszugehen (s. BGHZ 202, 39 Tz. 26, 39).

Für die Ermittlung des nach dem Willen der Parteien geltenden (bzw. zumindest vorherrschenden) Vertragszwecks ist beim Fehlen ausdrücklicher Regelungen im Vertrag auf objektive (äußerliche) Umstände zurückzugreifen, sofern diese tragfähige Anhaltspunkte für den Parteiwillen bieten. Als Indiz kommt insoweit neben der Verwendung eines auf eine der beiden Nutzungsarten zugeschnittenen Vertragsformulars, also seiner Bezeichnung und seiner inhaltlichen Regelungen, etwa der bauliche Zuschnitt der Räume, ihre Einrichtung, Umstände im Vorfeld des Vertragsab-schlusses und das nachträgliche Verhalten der Parteien, soweit dieses Rückschlüsse auf den übereinstimmenden Willen bei Vertragsschluss zulässt, in Betracht (s. BGHZ 202, 39 Tz. 37 f.; s.a. Sternel, Mietrecht aktuell, 4. Aufl., Rn VI 1; Bub/Treier/Drettmann, Handb. Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Aufl., Rn I 177 f.; Palandt/Weidenkaff, BGB, 78. Aufl., vor § 535 Rn. 79). Maßgeblich ist der wahre, das Rechtsverhältnis prägende Vertragszweck, also die gemeinsamen Vorstellungen der Vertragsparteien dar...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge