Leitsatz (amtlich)

Lärm und Erschütterungen von einer benachbarten Baustelle können im Hinblick auf den mietvertraglich vereinbarten Nutzungszweck einen Mangel der Mietsache begründen, ohne dass es auf Abwehr- oder Entschädigungsansprüche des Vermieters gegen den Bauherren nach § 906 BGB ankommt (Abgrenzung zum Urteil des BGH vom 29.04.2020 - VIII ZR 31/18).

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 5 O 101/19)

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das am 26.02.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 5 O 101/19 - teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 6.828,39 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.06.2019 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Miete für die von den Klägern innegehaltenen Gewerbemieträume im Objekt ... Straße ... Berlin, ..., während der Abriss- und Neubauarbeiten am Nachbargebäude bis zum 31.12.2019 um 20 % gemindert war und vom 06.05.2020 bis zum 17.09.2020 um 3 %.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Beklagte 90 % und die Kläger jeweils 5 % zu tragen. Von den außergerichtlichen Kosten der Streithelferin haben diese 90 % und die Kläger jeweils 5 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Kläger haben vom beklagten Teileigentümer Gewerberäume zur Nutzung als "Thai-Massagesalon" gemietet. Ab März 2018 ließ die Streithelferin auf dem Nachbargrundstück das vorhandene Gebäude abreißen und ein neues Gebäude errichten. Das Landgericht hat die Klage auf Mietrückzahlung in Höhe von 6.828,39 EUR und auf Feststellung einer Mietminderung um 20 % während der Abriss- und Neubauarbeiten abgewiesen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und der Anträge in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihre Klage weiter und machen geltend:

Das Landgericht habe zutreffend nicht unerhebliche Beeinträchtigungen für den Betrieb des Massagesalons festgestellt, aber eine Minderung zu Unrecht mit der Begründung verneint, der Beklagte habe keinen Einfluss auf den Fortbestand der bei Mietbeginn bestehenden Umweltverhältnisse und deshalb könne seine Haftung hierfür nicht erwartet werden. Die sog. "Bolzplatzentscheidung" des BGH sei abzulehnen, vielmehr sei entsprechend Entscheidungen des LG Berlin von einer stillschweigenden Beschaffenheitsvereinbarung bezüglich der Lärmfreiheit auszugehen. Der Vermieter müsse, wenn er bei Vertragsschluss die Haftung für das Fehlen bestimmter Beschaffenheitsmerkmale ausschließen wolle, ebenso einen Vorbehalt erklären wie der Mieter gemäß § 536b Satz 3 BGB zum Erhalt von Mängelrechten. Eine Minderung der Miete hänge nach der mietrechtlichen Spezialvorschrift des §§ 536 BGB nur von einer Tauglichkeitsminderung der Mietsache ab und nicht von einem vermieterseitigen Verschulden, von Ausgleichsansprüchen des Vermieters oder von einer möglichen Haftung Dritter und werde von der sachenrechtlichen Norm des § 906 BGB nicht berührt. Eine Regelungslücke, die durch direkte oder analoge Anwendung des § 906 BGB in irgendeiner Form geschlossen werden müsste, sei nicht ersichtlich.

Die Baustelle habe unmittelbar neben dem Fenster der Gewerbeeinheit begonnen, der Bürgersteig sei abgesperrt gewesen und Passanten seien umgeleitet gewesen. Lkw, Betonmischer und schweres Baugerät hätten nahezu durchgehend direkt vor dem Salon gestanden, so dass dieser von der anderen Straßenseite, von Passanten und Laufkundschaft nicht wahrnehmbar gewesen sei. Die Erschütterungen hätten zu erheblicher Staub- und Rissbildung in den Gewerberäumen geführt.

Die Kläger beantragen,

das am 26.02.2020 verkündete Urteil des LG Berlin zum Az. 5 O 101/19 abzuändern,

den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger 6.828,39 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

und festzustellen, dass die Miete für die von den Klägern innegehaltenen Gewerbemieträume im Objekt ... Straße ..., ..., während der Abriss- und Neubauarbeiten am Nachbargebäude um 20 % gemindert ist.

Der Beklagte und die Streithelferin beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und macht geltend, keine Abwehrmöglichkeit gegen die ortsüblichen Baumaßnahmen gehabt zu haben, die unstreitig sämtlich genehmigt und im Rahmen des Zulässigen ausgeführt worden seien. Im Übrigen sei die Gebrauchstauglichkeit der Geschäftsräume nicht signifikant beeinträchtigt gewesen.

Die Streithelferin hebt hervor, dass eine ruhige Umgebung nicht vereinbart worden sei, auch nicht konkludent, sondern das Landgericht sich zu Recht gemäß der sog. "Bolzplatzentscheidung" auf die Wertung des § 906 BGB gestützt habe. Lärmbelastungen über das übliche Maß hinaus und eine mehr als nur unerhebliche Beeinträchtigung der Eignung der überlassenen Mieträumlichkeiten würden von den Klä...

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