Leitsatz (amtlich)

1. Ergänzender Vortrag oder Beweisantritt in Bezug auf ein Gutachten kann nach §§ 296 Abs. 1, 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO nur dann wirksam zurückgewiesen werden, wenn mit der (zuzustellenden) Fristsetzung unmissverständlich auf den möglichen Ausschluss hingewiesen und die Frist (in Kammersachen) von der Kammer und nicht nur von dem Vorsitzenden gesetzt worden ist.

2. Einem Anhörungsantrag ist - abgesehen von den Fällen der Präklusion oder des Rechtsmissbrauchs - regelmäßig auch denn nachzugehen, wenn das Gericht keinen Aufklärungsbedarf sieht.

3. Eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist nicht nur auf krasse Ausnahmefälle beschränkt. Im Arzthaftungsprozess wird in der Regel das Erfordernis einer umfangreichen oder aufwendigen Beweisaufnahme i.S.v. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO anzunehmen sein.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 25.10.2005; Aktenzeichen 13 O 510/04)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25.10.2005 verkündete Urteil der Zivilkammer 13 des LG Berlin aufgehoben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und erneuten Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von den Beklagten Schmerzensgeld (mindestens 9.000 EUR) sowie Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für materielle und weitere immaterielle Schäden aus der Behandlung am 3.5.2003.

Sie macht geltend, die Beklagten hätten bereits am 3.5.2003 das Vorliegen der Appendizitis diagnostizieren müssen. Sie habe sich kaum noch bewegen können. Die Verdachtsdiagnose eines viralen Infekts mit Begleitgastroenteristis sei durch nichts belegt gewesen. Durch die nicht indizierte Schmerzbehandlung würden die Symptome einer Appendizitis und einer Peritonitis unterdrückt und daher die Diagnostik behindert, sodass die indizierte Behandlung weiter hinausgezögert worden sei. Sie sei ferner nicht auf eine erforderliche Wiedervorstellung bei Verschlechterung der Beschwerden hingewiesen worden.

Wegen des Parteivorbringens erster Instanz, der dort durchgeführten Beweisaufnahme und gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Der Vorsitzende hat den Parteien mit gegen Empfangsbekenntnis zugestellter Verfügung vom 7.4.2005 Gelegenheit gegeben, sich innerhalb eines Monats zu dem Gutachten zu äußern.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 9.5.2005 Stellung genommen und im Termin ferner die Anhörung des Sachverständigen beantragt sowie einen Schriftsatz vom selben Tag übergeben, in dem zu konkret aufgeführten Fragen die Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens eines Pädiaters bzw. Kinderchirurgen, hilfsweise die Anhörung des bisherigen Sachverständigen beantragt worden ist.

Das LG hat durch am 25.10.2005 verkündetes Urteil die Klage abgewiesen. Einen Befunderhebungsmangel habe die Klägerin nicht bewiesen. Eine Blinddarmentzündung sei nicht zu diagnostizieren gewesen. Ob eine ärztliche Beratung unterlassen worden sei, könne dahin stehen, denn die Klägerin habe nicht dargelegt, sich andernfalls früher erneut in ärztliche Behandlung begeben zu haben. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass die Medikation fehlerhaft gewesen sei. Ihre Angriffe im Schriftsatz vom 9.5.2005 rechtfertigten nicht die Fortsetzung der Beweisaufnahme, weil der Gutachter die Argumente bereits erörtert habe. Der Vortrag im Schriftsatz vom 25.10.2005 gebe ebenfalls keine Veranlassung für eine weitere Beweisaufnahme. Jedenfalls sei der unter entsprechendem Beweisantritt erfolgte Vortrag mit Schriftsatz vom 25.10.2005 als verspätet zurückzuweisen, weil dieser nach Ablauf der Frist zur Stellungnahme auf das Sachverständigengutachten erfolgt sei. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit ihrer rechtzeitigen Berufung macht die Klägerin geltend, das LG hätte auch mit Rücksicht auf ihren Schriftsatz vom 9.5.2005 von Amts wegen die offenen Beweisfragen klären müssen, zumal diese vom Sachverständigen auch so dargelegt worden seien. Weiterhin hätte es ihrem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen stattgeben müssen.

Sie meint, es hätte geklärt werden müssen, ob ihr eine Wiedervorstellung angeraten worden sei.

Ferner hätte die Ausprägung der Schmerzen geklärt werden müssen, weil deren Ausmaß Rückschlüsse auf einen möglichen (nicht dokumentierten) Befund zulasse. Der Sachverständige habe die Medikation auf der Grundlage des dokumentierten Befundes als auffällig bezeichnet. Die von ihr dargelegten heftigen Schmerzen hätten dann zu der Diagnose des Verdachts auf eine Appendizitis führen müssen.

Aus ihrer Rüge, sie sei nicht auf eine Wiedervorstellung im Krankenhaus bei Verschlechterung ihres Zustandes hingewiesen worden, ergebe sich, dass sie sich früher ins Krankenhaus begeben hätte. Sie habe mit Schriftsatz vom 21.2.2005 vorgetragen, dass die Schmerzsymptomatik sich bereits in der Nacht und am frühen Morgen des 5.5.2003 wieder eingestellt habe. Selbstv...

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