Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensverursachung in Selbsttötungsabsicht

 

Normenkette

ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 20.03.2001; Aktenzeichen 17 O 397/00)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten zu 2) gegen das am 20.3.2001 verkündete Urteil des LG Berlin – 17 O 397/00 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Das LG hat die Beklagte zu 2) zu Recht zum Ersatz des Schadens am geparkten Mercedes des Klägers (B-…) verurteilt, den der bei ihr haftpflichtversicherte D.D. mit seinem KIA (B-…) am 8.3.2000 in der H.-straße verursacht hat. Die Behauptung der Beklagten zu 2), ihr Versicherungsnehmer habe die Kollision beider Fahrzeuge in Selbsttötungsabsicht und damit vorsätzlich herbeigeführt, hat sich in der zweitinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme unter Berücksichtigung weiterer Indizien nicht bestätigt, § 286 ZPO.

A.I. Nach § 152 VVG haftet der Versicherer nicht, wenn der Versicherungsnehmer den Eintritt der Tatsache, für die er dem Dritten verantwortlich ist, vorsätzlich widerrechtlich herbeigeführt hat: In einem solchen Fall ist der Versicherungsschutz auch im Außenverhältnis zum Geschädigten nach dem PflVersG von vornherein ausgeschlossen (vgl. KG, Urt. v. 12.3.1987 – 12 U 6260/86; OLG Oldenburg VersR 1999, 482; Feyock/Jacobsen, Kraftfahrversicherung, 2. Aufl. 2002, § 3 PflVG, Rz. 30 m.w.N.). Vorsatz im Sinne dieser Vorschrift ist derjenige des allgemeinen Zivilrechts (vgl. BGH VersR 1978, 265), also Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolges; es genügt, wenn der Handelnde den als möglich erkannten Erfolg billigend in Kauf nimmt (Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl. 2003, § 276 BGB Rz. 10).

Es obliegt dem Versicherer, der sich auf eine Haftungsfreiheit nach § 152 VVG beruft, die tatsächlichen Voraussetzungen der Norm darzulegen und zu beweisen.

II. Ein Vorsatz liegt nicht vor, soweit der Handelnde sich durch geistige Getränke in einen die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit versetzt hat, §§ 276 Abs. 1 S. 2, 827 BGB. Nach der Rspr. schließt allerdings selbst ein hoher Alkoholisierungsgrad den Vorsatz nicht von vornherein aus (vgl. BGH VersR 1978, 266 – BAK von 2,4 Promille zur Tatzeit; OLG Hamburg v. 23.10.1991 – 4 U 95/91, NJW-RR 1992, 1188 – BAK von 2,0 Promille zur Tatzeit; vgl. auch Honsell/Baumann, Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 1999, § 152 VVG, Rz. 26 m.w.N.). Nach allgemeinen Regeln ist derjenige, der sich auf die Unzurechnungsfähigkeit des Versicherungsnehmers beruft, damit beweisbelastet.

B. In Anwendung dieser Grundsätze hat die Beklagte zu 2) nicht bewiesen, dass D.D. die Kollision seines Fahrzeuges mit dem geparkten Pkw des Klägers vorsätzlich herbeigeführt hat in der Absicht, sich das Leben zu nehmen (§ 286 ZPO); folglich schuldet sie dem Kläger den erstinstanzlich zuerkannten Schadensersatz nach §§ 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG und kann sich in diesem Verhältnis nicht auf eine Haftungsfreiheit berufen.

I. Der im zweiten Rechtszug als Zeuge vernommene D.D. hat bekundet, er habe an seine Unfallfahrt vom 8.3.2000 keine Erinnerung mehr; diese setze bei seinem Aufwachen nach dem Unfall im Krankenhaus ein. Damit hat er die von der Beklagten zu 2) behauptete Selbsttötungsabsicht im Unfallzeitpunkt nicht bestätigt.

Es mag auf sich beruhen, ob die angegebene Erinnerungslücke des Zeugen auf seine beträchtliche Alkoholisierung zum Unfallzeitpunkt zurückzuführen ist oder ob es sich um eine unzutreffende Schutzbehauptung handelt. Beide Möglichkeiten können eine gewisse Plausibilität für sich beanspruchen. Der Unfall hat sich um 21.45 Uhr ereignet; unstreitig hatte der Zeuge ca. zwei Stunden später um 23.50 Uhr eine BAK von 2,67 Promille; bei einem Abbau von 0,2 Promille sowie einem weiteren „Sicherheitszuschlag” von 0,2 Promille gelangt man zu einer BAK von 3,27 Promille zum Unfallzeitpunkt (vgl. zu dieser Berechnung die st. Rspr. des BGH bei Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 20 StGB, Rz. 9). Dies kann zu Erinnerungsverlusten führen. Dem Zeugen war andererseits – spätestens nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils gegen ihn als Beklagten zu 1), das er nicht angefochten hat – bei seiner Aussage bewusst, dass er seinen Haftpflichtversicherungsschutz für den Unfall verlieren würde, wenn er eine Selbsttötungsabsicht einräumen würde. In seinen Urteilsgründen (dort S. 4) hat das LG diese mögliche Rechtsfolge deutlich hervorgehoben.

Selbst wenn man jedoch die Darlegungen des Zeugen im Sinne dieser zweiten Möglichkeit als Schutzbehauptung werten und ihm nicht glauben wollte, dass er keine Erinnerung mehr hat, wäre damit weiterhin nicht durch seine Aussage bewiesen, dass er sich – wie behauptet – umbringen wollte. Insofern kann es offen bleiben, ob der Erinnerungsverlust echt ist.

II. Ausreichende Indizien, die einzeln oder in der Gesamtschau einen zuverlässigen Schluss auf die innere Tatsache „Selbsttötungsabsicht” zulassen, liegen nicht vor.

1. Die unstr...

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