Leitsatz (amtlich)

1. Eine winterliche Räum- und Streupflicht kann nicht nur bei allgemeiner Glätte, sondern auch bei einer ernsthaften lokalen Glättegefahr bestehen.

2. Ob eine ernsthafte lokale Glättegefahr besteht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei kommt es stets auf den Pflichtenmaßstab an, der an den primär Verkehrssicherungspflichtigen zu stellen ist, der den Verkehr auf der in Rede stehenden Fläche eröffnet hat. Dieser Maßstab gilt auch für einen Dritten, auf den der primär Verkehrssicherungspflichtige die Räum- und Streupflicht übertragen hat.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 23.03.2022; Aktenzeichen 22 O 121/21)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts vom 23. März 2022 unter Aufhebung der Kostenentscheidung abgeändert, sodass es nunmehr wie folgt lautet:

1. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin 5.404,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19. November 2021 zu zahlen.

2. Die Beklagte zu 2) wird weiter verurteilt, an die A (Schadensnummer ...) 800,30 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19. November 2021 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin auch sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aufgrund ihres Sturzes am 19. Dezember 2020 noch entstehen werden, sofern ihr Schadensersatzanspruch insoweit nicht auf Dritte übergegangen ist oder noch übergeht.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:

Für die ersten Instanz gilt: Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen diese selbst zu 85 %, die Beklagte zu 2) zu 15 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt die Klägerin. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) tragen die Klägerin zu 70 %, die Beklagte zu 2) zu 30 %.

Für die zweite Instanz gilt: Die Klägerin trägt die Kosten zu 70 %, die Beklagte zu 2) zu 30 %.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und Schadensersatz nach einem Unfall.

Die Beklagte zu 2) erbringt gewerblich Winterdienste.

Die am 22. Juni 1951 geborene Klägerin erlitt am Samstag, den 19. Dezember 2020, gegen 11.00 Uhr eine Quadrizepssehnenruptur am rechten Bein. Unmittelbar nach ihrer Verletzung wurde sie in der D-Klinik Berlin aufgenommen und am 20. Dezember 2020 operiert. Sie blieb bis zum 27. Dezember 2020 in stationärer Behandlung. Der weitere Heilungsverlauf gestaltete sich schwierig, die Klägerin war zumindest bis November 2021 arbeitsunfähig krank geschrieben.

Der Träger der D-Klinik, die Z GmbH, übertrug die Verkehrssicherungspflicht während der Winterdienstsaison auf dem Krankenhausgelände mit einem Vertrag über Winterdienstleistungen aus dem Oktober 2015 (Anlage B 1 - 2) der Beklagten zu 2).

Die Klägerin arbeitete vor ihrer Verletzung als Altenpflegerin und verdiente zuletzt 300,00 EUR pro Monat. Diese Arbeit hat sie seither nicht fortgesetzt. Aufgrund der Verletzung und der Operation benötigte sie Medikamente und Gehstützen, zu deren Beschaffungskosten sie eine Zuzahlung von insgesamt 104,40 EUR leistete.

Die Klägerin behauptet, zu ihrer Verletzung sei es wie folgt gekommen:

Sie habe sich am Tag ihres Unfalls gegen 11.00 Uhr zur D-Klinik in der S-Straße in Berlin begeben, um sich dort einem Coronatest zu unterziehen. Die Wege auf dem gesamten Gelände seien infolge von Glatteis sehr rutschig und nicht gestreut gewesen. Außerdem habe an dem Tag in Berlin allgemeine Glätte geherrscht. Als sie über das Gelände gegangen war und das auf dem Klinikgelände befindliche Corona-Testzentrum erreicht hatte, sei sie dort abgewiesen worden, da dieses samstags geschlossen war. Sie habe sich deshalb auf den Rückweg gemacht. Noch auf dem Klinikgelände sei sie auf einem Gehweg ausgerutscht und gestürzt. Es habe in diesem Bereich für sie keine Möglichkeit gegeben, den rutschigen Gehweg zu verlassen. Sie habe sofort Schmerzen im rechten Bein gespürt und habe nicht mehr aufstehen können, nur mit Unterstützung hinzukommender Personen habe sie sich auf eine Bank setzen können. Sie sei dann zur Untersuchung ihrer Verletzung wieder in das D-Krankenhaus gebracht worden, wo dann die Quadrizepssehnenruptur festgestellt und behandelt wurde.

Wegen dieser Verletzung hat die Klägerin vor dem Landgericht Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld erhoben. Neben der Beklagten zu 2) hat sie dort auch die Beklagte zu 1) in Anspruch genommen. Die Klägerin hat ein Schmerzensgeld von 20.000,00 EUR, einen Haus...

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