Leitsatz (amtlich)

Geben nicht miteinander verheiratete Eltern in Deutschland gemeinsame Sorgeerklärungen (§§ 1626a, 1626b Abs. 2 BGB) für ihr noch ungeborenes Kind ab, so tritt die Rechtswirkung dieser Erklärungen, nämlich die gemeinsame elterliche Sorge, erst mit der Geburt des Kindes ein. Verlegen die Eltern noch vor der Geburt des Kindes ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einen ausländischen Vertragsstaat (hier:Schweiz) des Kinderschutzübereinkommens vom 19.10.1996 (KSÜ), so richtet sich die Zuweisung der elterlichen Verantwortung gem. Art. 16 Abs. 2 KSÜ nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes im Zeitpunkt seiner Geburt. Nach diesem Recht bestimmt sich im Falle eines späteren Verbringens des Kindes durch die Mutter in einen anderen Staat auch die Beurteilung der Widerrechtlichkeit i.S.d. Art. 3 Satz 1 lit. a) HKÜ.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Pankow/Weißensee (Beschluss vom 12.04.2011; Aktenzeichen 15 F 1493/11)

 

Tenor

Die Beschwerde des Vaters gegen den Beschluss des AG Pankow/Weißensee - Familiengericht - vom 12.4.2011 - 15 F 1493/11 - wird auf Kosten des Vaters zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Der Vater und die Mutter des am 17.7.2008 geborenen Kindes F L L waren nicht miteinander verheiratet. Mit seinem Antrag vom 15.2.2011 begehrt der Antragsteller die Rückführung des Kindes in die Schweiz auf der Grundlage des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ).

Vor der Geburt des Kindes erkannte der Vater am 18.1.2008 vor dem Bezirksamt T.-S.von Berlin die Vaterschaft für das Kind an und die Eltern gaben gemeinsame Sorgeerklärungen ab.

Die Eltern verzogen einige Wochen vor der Geburt des Kindes in die Schweiz, wo das Kind geboren wurde und wo die Familie in der Folgezeit lebte. Im März 2010 kam es zur Trennung der Eltern. Am 7.5.2010 verließ die Mutter mit dem Kind ohne Zustimmung des Vaters die Schweiz und verzog nach Berlin, wo sie sich weiterhin mit dem Kind aufhält.

Durch Verfügung des Bezirksgerichts Zürich vom 10.11.2010 wurden die von den Eltern am 18.1.2008 vor dem Bezirksamt T.-S.von Berlin gemeinsam abgegebenen Sorgeerklärungen in der Schweiz anerkannt.

Das AG Pankow/Weißensee (Familiengericht) hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 12.4.2011 den Antrag des Vaters auf Rückführung des Kindes zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, dass nach dem anzuwendenden schweizerischen Recht dem Vater im Zeitpunkt der Verbringung des Kindes ein Mitsorgerecht nicht zugestanden habe. Auch die in Deutschland vor der Geburt des Kindes abgegebenen Sorgeerklärungen hätten nicht bewirkt, dass der Vater im Zeitpunkt der Verbringung des Kindes nach Schweizer Recht Mitinhaber der elterlichen Sorge gewesen wäre. Der durch das Bezirksgericht Zürich mit Verfügung vom 10.11.2010 vorgenommenen Anerkennung der gemeinsamen Sorgeerklärung komme zwar Rückwirkung zu, aber für die Frage der Widerrechtlichkeit i.S.v. Art. 3 HKÜ sei von dem Rechtszustand auszugehen, der im Zeitpunkt der Verbringung nach schweizerischem Recht vorgelegen hätte.

Gegen den ihm am 27.4.2011 zugestellten Beschluss hat der Vater mit Schriftsatz vom 6.5.2011, der am gleichen Tage beim AG Pankow/Weißensee einging, Beschwerde eingelegt und diese begründet.

Der Vater verfolgt mit der Beschwerde sein Rückführungsbegehren weiter. Er ist der Ansicht, das Verbringen des Kindes sei widerrechtlich i.S.d. Art. 3 HKÜ gewesen, weil er aufgrund der wirksam abgegebenen Sorgeerklärungen der Eltern sowohl nach deutschem als auch nach schweizerischem Recht mitsorgeberechtigt gewesen sei. Das AG habe das Haager Übereinkommen vom 19.10.1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiete der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (KSÜ) als vorrangigen internationalen Staatsvertrag nicht berücksichtigt. Gemäß Art. 16 Abs. 2 KSÜ bestimme sich die Zuweisung der elterlichen Verantwortung nach deutschem Recht, da die Sorgeerklärungen in dem Zeitpunkt wirksam geworden seien, in welchem sie vorgelegen hätten und der gewöhnliche Aufenthalt von Mutter und ungeborenem Kind zu diesem Zeitpunkt nach schweizerischem Recht noch in Deutschland gewesen sei. Der Umzug der Eltern in die Schweiz habe gem. Art. 16 Abs. 3 KSÜ an diesem einmal wirksam erworbenen (Mit)sorgerecht des Vaters nichts geändert. Die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich habe diesen Rechtszustand nur noch einmal deklaratorisch festgestellt.

Die Mutter begehrt die Zurückweisung der Beschwerde. Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung des Familiengerichts. Nach dem anwendbaren Schweizer Recht habe die nicht verheiratete Mutter die alleinige elterliche Sorge. Das in Deutschland erst nach der Geburt des Kindes entstandene Gewaltverhältnis sei nicht anzuerkennen. Auf ein noch nicht geborenes Kind fänden weder die Bestimmungen des MSA (Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10.1961) noch die des...

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