Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen (533) 69 Js 250/05 KLs (26/06))

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Bezirksrevisorin beim Landgericht Berlin werden der Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Landgerichts Berlin vom 11. Oktober 2007 sowie die Beschlüsse des Landgerichts Berlin vom 7. September 2009 und 19. Februar 2010 aufgehoben.

Die Vergütung des Zeugenbeistands Rechtsanwalt P. wird auf 223,72 Euro festgesetzt. Rechtsanwalt P. hat den zuviel ausbezahlten Betrag von 799,68 Euro an die Landeskasse zurückzuzahlen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Rechtsanwalt P. wurde dem Zeugen A. für dessen Vernehmung in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Berlin gegen die Angeklagten K. und G. gemäß § 68b StPO als Beistand beigeordnet und nahm diese Aufgabe in den Terminen am 6., 20. und 27. März sowie 25. Juni und 2. Juli 2007 wahr. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts setzte die Vergütung des Rechtsanwalts mit Beschluss vom 11. Oktober 2007 auf insgesamt 1.023,40 Euro fest. Dieser Betrag wurde Rechtsanwalt P. aufgrund Anordnung vom selben Tag ausgezahlt. Seine Erinnerung, mit der er eine antragsgemäße Festsetzung seiner Vergütung auf 1.849,26 Euro erstrebte, hat das Landgericht mit Beschluss vom 7. September 2009 zurückgewiesen. Die Bezirksrevisorin beim Landgericht Berlin hat am 10. September 2009 - unter Hinweis darauf, dass sie erst an diesem Tag von dem Sachverhalt und insbesondere den Beschlüssen vom 11. Oktober 2007 und 7. September 2009 in Kenntnis gesetzt worden sei - "Anschlusserinnerung gemäß § 56 RVG" gegen die Festsetzung vom 11. Oktober 2007 eingelegt mit dem Ziel, die Vergütung des Rechtsanwalts auf einen Betrag von 223,72 Euro festsetzen und die Rückzahlung des darüber hinausgehenden ausbezahlten Betrags von 799,68 Euro anordnen zu lassen. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 19. Februar 2010 die "Anschlusserinnerung" als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen hat die Bezirksrevisorin Beschwerde eingelegt.

Der Senat behandelt die "Anschlusserinnerung" der Bezirksrevisorin gegen die Festsetzung vom 11. Oktober 2007 als Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 7. September 2009.

1. Das Landgericht hat verkannt, dass es sich bei der als "Anschlusserinnerung" bezeichneten Eingabe der Bezirksrevisorin vom 10. September 2009 nicht um eine Erinnerung gegen die Festsetzung vom 11. Oktober 2007, sondern bei sachgerechter Auslegung um eine Beschwerde gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG gegen den Beschluss vom 7. September 2009 gehandelt hat.

Anschlussrechtsrechtsbehelfe sind in verschiedenen Prozessordnungen vorgesehen. So regelt beispielsweise die Zivilprozessordnung die Anschlussberufung (§ 524 ZPO), die Anschlussbeschwerde (§§ 567 Abs. 3, 574 Abs. 4 ZPO) und die Anschlussrevision (§ 554 Abs. 3 ZPO). Zweck dieser Bestimmungen ist es, dem Rechtsmittelgegner einen (unselbständigen) Rechtsbehelf zu ermöglichen, um seine Rechte eigenständig wahren zu können und gegebenenfalls eine "Verböserung" der angefochtenen gerichtlichen Entscheidung zu erreichen (vgl. VG Stuttgart NVwZ-RR 2007, 216). Auch in Erinnerungsverfahren wird ein derartiger Rechtsbehelf für zulässig gehalten (vgl. etwa VG Stuttgart aaO. für die Anschlusserinnerung im Verwaltungsprozessrecht analog § 127 Abs. 1, §§ 173 VwGO i.V.m. § 567 Abs. 3 ZPO, § 141 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 1 VwGO).

Gemeinsam ist allen diesen Rechtsbehelfen, dass sie im Anschluss an den gegnerischen Rechtsbehelf und vor der gerichtlichen Entscheidung darüber eingelegt werden, damit das Gericht sodann über beide Rechtsbehelfe eine Entscheidung treffen kann.

Eine derartige Verfahrenslage war hier nicht gegeben. Die Bezirksrevisorin hatte, da sie (rechtswidrig) hierzu nicht angehört worden war, von der Erinnerung des Zeugenbeistands Rechtsanwalt P. gegen die Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erst erfahren, als ihr die Entscheidung des Gerichts über diese Erinnerung bekannt geworden ist. Eine "Anschlusserinnerung", also eine Erinnerung gegen die Festsetzung des Urkundsbeamten mit dem Ziel einer Verböserung dieser Entscheidung durch das zur Entscheidung berufene Landgericht, konnte die Bezirksrevisorin somit nicht mehr wirksam einlegen. Ihre fälschlich so bezeichnete Eingabe war daher, da ein anderer Rechtsbehelf nicht in Betracht kam, nach dem Rechtsgedanken des § 300 StPO als Beschwerde gegen den Beschluss vom 7. September 2009 auszulegen.

Bei dieser - allein sachgerechten - Auslegung der Eingabe der Bezirksrevisorin ist der von Rechtsanwalt P. vorgebrachte Verwirkungseinwand ohne Belang. Der Senat hat zwar (nicht tragend) im Beschluss vom 8. Mai 2008 - 1 Ws 134/08 - ausgeführt, dass dem Vertrauen eines Rechtsanwalts auf den Bestand einer Vergütungsfestsetzung Rechnung zu tragen ist, wenn die Staatskasse zuviel gezahlte Gebühren nicht innerhalb eines Jahre nach der Festsetzung zurückfordert; in diesem Fall wird das Recht, gegen die Festsetzung Erinnerung ei...

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