Leitsatz (amtlich)

Nicht jede objektiv falsche Rechtsanwendung begründet zugleich eine schuldhafte Amtspflichtverletzung. Ist die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers vertretbar, lässt sich aus der späteren Missbilligung dieser Rechtsauffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht herleiten.

 

Normenkette

ZPO § 522

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 23.10.2019; Aktenzeichen 26 O 116/19)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Absatz 2 ZPO zurückzuweisen.

Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.

 

Gründe

I. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Absatz 2 Satz 1 Ziffer 1 ZPO).

Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Schadenersatzanspruch aus § 839 Absatz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG nicht zu.

1. Völlig zu Recht ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass es bei Erlass des Bescheides vom 20. April 2015 bezüglich der Amtspflicht zu rechtmäßigem Verhalten an einem Verschulden der zuständigen Amtsträger des Beklagten fehlte.

Grundsätzlich mögen im Falle des für den Beklagten tätig gewordenen Landesamtes für ... als "Fachbehörde auf dem Gebiet der Chemikaliensicherheit im Land ..." insoweit strenge Anforderungen an deren Sorgfaltspflichten zu stellen sein. Es mag bei einer objektiv unrichtigen Maßnahme einer Fachbehörde, bei der die erforderliche Sachkunde vorauszusetzen ist, auch regelmäßig eine tatsächliche Vermutung dafür sprechen, dass die unrichtige Maßnahme auf einem Außerachtlassen der erforderlichen Sorgfalt beruht (BGH, Urteil vom 27. Februar 1969 - III ZR 157/66 -, Rn. 26, juris).

Vorliegend geht es in erster Linie jedoch um den Vorwurf einer unrichtigen Rechtsanwendung. Die für den Beklagten tätigen Amtsträger hielten bei Erlass des Bescheides vom 20. April 2015 die Biozid-VO, VO (EG) Nr. 528/2012, und nicht gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. i) Biozid-VO die VO (EG) Nr. 1107/2009 (Pflanzenschutzverordnung - PflSch-VO) für anwendbar, weil sie Buttersäure in Anwendung gegen Maulwürfe nicht als Pflanzenschutzmittel angesehen haben.

Für diesen Bereich hoheitlichen Handelns gilt jedoch, dass nicht jede objektiv falsche Rechtsanwendung auch zugleich eine schuldhafte Amtspflichtverletzung begründet (Senat, Urteil vom 30. März 2012 - 9 U 115/11 -, Rn. 12, juris). Jeder Inhaber eines öffentlichen Amtes hat vielmehr die Sach- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich danach aufgrund vernünftiger Überlegungen eine Rechtsmeinung zu bilden. Wenn die nach einer solchen Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als vertretbar angesehen werden kann, lässt sich aus der späteren Missbilligung dieser Rechtsauffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht herleiten (BGH, Urteil vom 04. Juli 2013 - III ZR 338/12 -, Rn. 10, juris m.w.N.). Eine infolge unrichtiger Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung fehlerhafte Amtsausübung ist zwar unter anderem dann schuldhaft, wenn die Auslegung und Anwendung gegen den klaren, bestimmten und völlig eindeutigen Wortlaut des Gesetzes verstößt oder zu einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung in Widerspruch steht. Anders ist es aber, wenn die Rechtsfrage nicht einfach zu beurteilen ist beziehungsweise die Auslegung einer Vorschrift - bezogen auf den zur Entscheidung stehenden Einzelfall - zweifelhaft sein kann und insoweit die Sache weder durch die Rechtsprechung geklärt noch im Schrifttum abschließend behandelt ist (BGH a.a.O. m.w.N.). Von diesem Maßstab ist das Landgericht erkennbar ausgegangen.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Auslegung und Anwendung von Art. 2 Abs. 2 lit. i) Biozid-VO sowie Art. 2 Abs. 1 lit. a) PflSch-VO durch die zuständigen Amtsträger des Beklagten gegen einen klaren, bestimmten und völlig eindeutigen Wortlaut der angewendeten Vorschriften verstoßen hat. Sie stand auch nicht im Widerspruch zu einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Rechtsfrage war seinerzeit - soweit ersichtlich - in Rechtsprechung oder Literatur überhaupt noch nicht thematisiert, geschweige denn durch Rechtsprechung geklärt oder im Schrifttum abschließend behandelt. Derartiges konnte auch der Kläger nicht aufzeigen.

Dass die Anwendung und Auslegung dieser Vorschriften bei der von den Amtsträgern des Beklagten zu treffenden Entscheidung zweifelhaft war, belegen die in der Auseinandersetzung der Parteien vor dem Verwaltungsgericht ... ergangenen Entscheidungen (Beschluss vom 16. Juli 2015 - 4 L 167.15 -, juris; Urteil vom 23. Mai 2018 - 4 K 277.15 -, juris). In dem Beschluss vom 16. Juli 2015 ist das Verwaltungsgericht der Rechtsansicht des Beklagten gefolgt. Der Anwendungsbereich der Biozid-Verordnung sei nicht gemäß Art. 2 Abs. 2 Biozid-VO ausgeschlossen (VG Berlin, a.a.O. Rn. 32 f., juris). Allein in diesem Zusammenhang hat das Landgericht den Beschluss des Verwaltungsgerichts ... vom 16. Juli 2015 als Beleg dafür angeführt, dass die Rechtsauffassung des B...

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