Entscheidungsstichwort (Thema)

Anhörung der Kinder und rechtliches Gehör der Eltern im sog. Berliner "Beschleunigten Familienverfahren"

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Auch im sog. Berliner „Beschleunigten Familienverfahren” in Sorge- und Umgangsverfahren sind in aller Regel die Kinder gemäß § 50b FGG vor einer die Instanz abschließenden gerichtlichen Entscheidung durch das Gericht anzuhören.

2. In diesen Verfahren müssen die Eltern im ersten Anhörungstermin in der Regel nicht mit einer die Instanz abschließenden gerichtlichen Entscheidung rechnen. Bevor eine solche ergeht, muss ihnen ausreichend rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG gewährt werden.

3. Führt das „Beschleunigte Familienverfahren” nicht zu einer Einigung der Eltern und kommt es zu einer die Instanz abschließenden gerichtlichen Entscheidung, ist der bisherige Verfahrensablauf und der wesentliche Inhalt der durchgeführten Ermittlungen ausreichend zu dokumentieren.

 

Normenkette

FGG § 50eb; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 27.10.2008; Aktenzeichen 157b F 12407/08)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des AG Tempelhof-Kreuzberg vom 27.10.2008 - 157b F 12407/08 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG Tempelhof-Kreuzberg zurückverwiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

Der Mutter wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwältin Ute Wenzel bewilligt.

 

Gründe

I. Die Parteien sind die nicht miteinander verheirateten Eltern der Kinder C.H., geboren am ... und A.H., geboren am ... Die Kindesmutter ist für die Kinder allein sorgeberechtigt.

Mit anwaltlicher Antragsschrift vom 8.9.2008 hat der Vater die Regelung des Umgangs mit seinen Kindern dahingehend beantragt, dass die Kinder ihn alle zwei Wochen in der Zeit von Freitag 16.30 Uhr bis Samstag 19.00 Uhr besuchen. Das AG hat einen Anhörungstermin im beschleunigten Familienverfahren für den 27.10.2008, 12.30 Uhr, anberaumt und zu diesem die Eltern sowie das Jugendamt M. von B. geladen. In der jeweiligen Ladung ist auf das beschleunigte Familienverfahren hingewiesen und der Ladung ein Merkblatt mit Hinweisen der Berliner Familiengerichte zu dem Beschleunigten Familienverfahren nach § 50e FGG beigefügt worden. In dem Anhörungstermin am 27.10.2008 ist den Anwesenden ausweislich des Protokolls der Umfang des Umgangs von der Vertreterin des Jugendamtes und dem Gericht vorgehalten worden. Während die Mutter sich hierzu nicht geäußert hat, ist der Vater damit einverstanden gewesen. Eine Anhörung der Kinder der Parteien ist nicht erfolgt. Am Schluss des Anhörungstermins hat das AG mit dem angefochtenen Beschluss den Umgang des Vaters mit seinen Kindern geregelt, wobei die Regelung über den von dem Vater beantragten Umgang hinausgeht. Gegen diesen ihr am 31.10.2008 zugestellten Beschluss wendet sich die Mutter mit ihrer Beschwerde vom 5.11.2008. Sie macht geltend, es sei das Gebot der Waffengleichheit verletzt worden, weil ihr entgegen § 121 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative ZPO kein Rechtsanwalt beigeordnet worden sei. Zudem sei ihr kein rechtliches Gehör gewährt worden. Die Feststellung in dem Protokoll, sie habe sich zu den Erörterungen nicht geäußert, treffe nicht zu. Im Übrigen solle das Gericht im beschleunigten Familienverfahren auf eine Einigung der Eltern hinwirken, was nicht geschehen sei. Letztlich bestünden aufgrund der räumlichen Verhältnisse bei dem Vater Bedenken gegen den angeordneten Umgang. Der Vater hat sich zu der Beschwerde nicht geäußert.

II. Die gemäß den §§ 621e Abs. 1, 3; 621 Abs. 1 Nr. 2; 517, 520 ZPO zulässige befristete Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Zwar sehen die Regelungen des FGG und § 621e ZPO, die nach § 621a Abs. 1 Satz 1 ZPO in isolierten Umgangsverfahren Anwendung finden, eine Zurückverweisung nicht vor. Es ist jedoch allgemein anerkannt (vgl. Zöller - Philippi, ZPO, 27. Aufl., § 621e ZPO Rz. 76 m.w.N.), dass eine Zurückverweisung auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei wesentlichen Verfahrensmängeln in entsprechender Anwendung des § 538 ZPO möglich ist (BGH FamRZ 1982, 152).

Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung in entsprechender Anwendung des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sind aus folgenden Gründen gegeben.

So hat es das Familiengericht unterlassen, die Kinder der Parteien persönlich anzuhören. Nach § 50b Abs. 1 u. 3 FGG, der auch nach Inkrafttreten des § 50e FGG am 1.7.2008 unverändert fortgilt, hat das Gericht in einem Verfahren, das die Personensorge betrifft, das Kind grundsätzlich persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes von Bedeutung sind. Von solchen Anhörungen darf nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden. Für eine Entscheidung in einem Umgangsrechtsverfahren gilt § 50b FGG auch unter ...

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