Leitsatz (amtlich)

Eine Zuständigkeit der Kammer für Bausachen nach § 72a S. 1 Nr. 2 GVG ist nicht begründet, wenn der ehemalige Geschäftsführer einer insolventen GmbH wegen der zweckwidrigen Verwendung von Baugeld gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1 BauFordSiG auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 20 O 124/18)

LG Berlin (Aktenzeichen 2 O 125/18)

 

Tenor

Die Zivilkammer 2 des Landgerichts Berlin wird als funktional zuständiger Spruchkörper bestimmt.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt den Beklagten mit ihrer bei dem Landgericht Berlin erhobenen Klage als ehemaligen Geschäftsführer der mittlerweile insolventen I... GmbH (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin) auf Schadensersatz wegen der zweckwidrigen Verwendung von Baugeld in Anspruch. Die Klägerin schloss mit der Insolvenzschuldnerin zwei Werkverträge, welche Abbrucharbeiten zum Gegenstand hatten. Die Insolvenzschuldnerin fungierte bei den betreffenden Bauvorhaben jeweils als Generalunternehmerin. Die Klägerin behauptet, sie habe die beauftragten Arbeiten mangelfrei ausgeführt. Aufgrund der gestellten Schlussrechnungen sei ein Betrag von insgesamt 216.026,17 Euro offen, den die Insolvenzschuldnerin nicht bezahlt habe, obwohl sie von den Bauherren ihrerseits entsprechende Zahlungen erhalten habe. Aufgrund der zweckwidrigen Verwendung dieser Gelder hafte der Beklagte als ehemaliger Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 1 ff. BauFordSiG, 14 StGB.

Die Zivilkammer 2 des Landgerichts Berlin, bei der die Klage zunächst anhängig war, hat die Sache nach Anhörung der Parteien mit einem Beschluss vom 20. Juni 2018 an die Kammer für Baustreitigkeiten abgegeben. Es handele sich um eine Streitigkeit, die aus einem Bauvertrag erwachsen sei, weshalb die Voraussetzungen für die gesetzliche Sonderzuständigkeit nach § 72a S. 1 Nr. 2 GVG erfüllt seien. Die Zivilkammer 20, die nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts als Kammer für Streitigkeiten aus Bauverträgen fungiert, hat sich mit einem Beschluss vom 5. Juli 2018 ebenfalls für unzuständig erklärt und die Sache dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt.

II. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen. Ferner liegen die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung auch der Sache nach vor. Zwar setzt § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nach seinem Wortlaut voraus, dass sich verschiedene Gerichte (und nicht einzelne Spruchkörper) rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Allerdings ist die Vorschrift entsprechend anwendbar, wenn mehrere Spruchkörper des gleichen Gerichts um ihre Zuständigkeit streiten und die Entscheidung des Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans sondern von einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung abhängt. Dies gilt nach bislang unbestrittener Auffassung auch für die von dem Gesetzgeber neu geschaffenen §§ 72a, 119a GVG (Senat, Beschluss vom 22. März 2018 - 2 AR 11/18, NJW-RR 2018, 212; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. April 2018 - 13 SV 6/18; Zöller/Lückemann, a. a. O., § 72a GVG Rn. 2; Klose MDR 2017, 793 [795]).

Darüber hinaus haben sich die an dem negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Spruchkörper auch jeweils "rechtskräftig" im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für unzuständig erklärt. Hierfür genügt es, dass die betreffenden Beschlüsse jeweils den Parteien bekanntgegeben wurden, womit es sich nicht nur um gerichtinterne Vorgänge handelt und die Voraussetzungen für eine obergerichtliche Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO erfüllt sind (BGH, Beschluss vom 1. Juni 1988 - IVb ARZ 26/88 -, FamRZ 1988, 1256; OLG Dresden, Beschluss vom 14. Dezember 2000 - 10 ARf 31/00, OLG-NL 2001,71; Zöller/Schultzky, a. a. O., § 36 Rn. 35 m. w. N.).

Als funktional zuständiger Spruchkörper war die Zivilkammer 2 zu bestimmen, weil die Voraussetzungen für eine Sonderzuständigkeit nach § 72a S. 1 Nr. 2 GVG nicht erfüllt sind. Bereits nach ihrem Wortlaut ("Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen") bezieht sich die Vorschrift auf vertragliche Ansprüche, während es sich beim Gegenstand der vorliegenden Klage um einen deliktischen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1 BauFordSiG handelt. Den Gesetzesmaterialen ist ebenfalls nichts für eine Einbeziehung von deliktischen Ansprüchen in den Anwendungsbereich von § 72a S. 1 Nr. 2 GVG zu entnehmen. Vielmehr weist die Gesetzesbegründung darauf hin, dass die Bestimmung wörtlich § 348 S. 2 Nr. 2 lit. c ZPO nachgebildet sei (BT-Drucks. 18/11437, S. 45). Hinsichtlich der zuletzt genannten Vorschrift geht die wohl herrschende Auffassung davon aus, dass bei der Vertragsabwicklung begangene unerlaubte Handlungen nicht erfasst sind (vgl. explizit verneinend BeckOK ZPO/Fischer, 28 Ed. 1.3.2018, § 348 Rn. 19; MüKoZPO/Stackmann, 5. Aufl. 2016, § 348 Rn. 53; im Ergebnis ebenso offenbar Zöller/Greger, a. a. O., § 348 Rn. 11; Musielak/Voit/Wittschier, ZPO, 15. A...

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