Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 04.04.2011; Aktenzeichen (564) 283/63 Js 5562/09 Ns (117/10))

 

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. April 2011 aufgehoben.

2. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Urkundenfälschung durch Gebrauchen einer unechten Urkunde zwischen dem 30. Juli und dem 31. Dezember 2008 sowie am 1. Januar 2009 verurteilt worden ist.

3. Der Angeklagte wird von dem Vorwurf der Urkundenfälschung durch Herstellen einer unechten Urkunde am 2. Januar 2007 freigesprochen.

4. Die Landeskasse Berlin trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten am 12. Mai 2010 von dem Vorwurf freigesprochen, er habe am 2. Januar 2007 zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde hergestellt. Dem Angeklagten wurde im Strafbefehlswege zur Last gelegt, er habe am genannten Tag einen Wohnungsmietvertrag, der als Parteien die Zeugin Wa als Vermieterin und die Großmutter des Angeklagten, die Zeugin Wi, als Mieterin auswies, unberechtigt mit der Unterschrift der Zeugin Wa versehen, um bei der Zeugin Wi den Eindruck zu erwecken, sie schließe durch ihre Unterzeichnung der Urkunde mit der Zeugin Wa einen entsprechenden Vertrag ab.

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht den Angeklagten unter Aufhebung des freisprechenden Urteils wegen Urkundenfälschung in Gestalt des (tateinheitlichen) Gebrauchens einer unechten Urkunde zu einer Geldstrafe verurteilt. Es hat dem Schuldspruch zugrunde gelegt, der Angeklagte habe in der Zeit zwischen dem 30. Juli 2008 und dem 31. Dezember 2008 eine Kopie jenes mit der falschen Unterschrift versehenen Mietvertrages bei dem Bezirksamt x eingereicht, wo er für seine Großmutter einen Antrag auf Grundsicherung gestellt hatte. Seiner Großmutter habe er den Mietvertrag (wohl im Original) am 1. Januar 2009 präsentiert, um sie zu bewegen, den im Vertrag vorgesehenen Mietzins auf ein von der Mutter des Angeklagten gehaltenes Konto zu zahlen. Ebenso wie das Amtsgericht hat sich auch das Landgericht nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte selbst die falsche Unterschrift auf dem Vertragsformular geleistet hat.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu Recht ausgeführt, dass die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung des Vorliegens der Verfahrensvoraussetzungen ergibt, dass die vom Landgericht abgeurteilte Tat nicht Gegenstand der öffentlichen Klage war. Insoweit besteht, da eine Nachtragsanklage nicht erhoben worden ist, ein Prozesshindernis, das die Einstellung des Verfahrens nach § 206a Abs. 1 StPO zur Folge hat.

Der dem Verfahren zugrunde liegende Strafbefehlsantrag, der am 4. Februar 2010 zum Erlass eines entsprechenden Strafbefehls geführt hat, hat dem Angeklagten ausschließlich zur Last gelegt, am 2. Januar 2007 die Unterschrift der Zeugin Wa auf dem Vertragsformular nachgemacht und so eine unechte Urkunde hergestellt zu haben. Mit dem Gebrauchen (einer Kopie) des fraglichen Mietvertrages in den Jahren 2008 und 2009 hat das Landgericht eine Tat im verfahrensrechtlichen Sinne (§ 264 StPO) abgeurteilt, die von dem Strafbefehl nicht umfasst war und daher nicht Gegenstand der Urteilsfindung sein konnte.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts war es nicht im Hinblick auf die (hinsichtlich der Fotokopie ohnehin nicht unzweifelhafte) Identität des Tatobjekts befugt, hinsichtlich der Änderung der Begehungsweise und der Zeit der Tat lediglich einen "entsprechenden Hinweis nach § 265 StPO", dessen Inhalt das Landgericht nicht mitgeteilt hat, zu geben. Insbesondere folgte eine solche Befugnis nicht daraus, dass der Strafbefehl nur einen "sehr knappen ursprünglichen Lebenssachverhalt" auswies und dessen Darstellung der Tatzeit "nur bedingt aussagekräftig" gewesen sei (im Widerspruch zur letztgenannten Annahme hat die Kammer an anderer Stelle der Urteilsgründe allerdings, worauf die Generalstaatsanwaltschaft mit Recht hingewiesen hat, diese Tatzeit als festgestellt erachtet).

Das Landgericht hat ersichtlich gemeint, gerade wegen der Kargheit des Anklagesatzes zu einer Auswechselung des Verfahrensgegenstands unter Heranziehung des Akteninhalts befugt zu sein. Dies ist nicht zutreffend. Zwar sind Prozesshandlungen, also auch Anklagen und die ihnen gleichstehenden Strafbefehle, auslegungsfähig. Deren Inhalt darf sich aber nicht bloß aus völlig außerhalb der Erklärung liegenden Umständen ergeben (vgl. BGHSt 46, 130, 134). Es ist zwar zulässig, zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen einer Anklageschrift zurückzugreifen; ein Rückgriff auf den sonstigen Akteninhalt ist aber nicht statthaft (vgl. BGH aaO. m.w.N.; Senat, Beschluss vom 30. Mai 2006 - [4] 1 Ss 271/04 [48/05] -). Daher war der vom Landgericht gegebene Hinweis nach § 265 StPO rechtl...

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