Leitsatz (amtlich)

1. Die häusliche Gemeinschaft gem. § 86 Abs. 3 VVG ist zwar nicht an den überwiegenden Aufenthalt in der gemeinsamen Wohnung geknüpft, wenn die Abwesenheit äußere Gründe hat, die nicht für eine Lockerung des Familienverbandes sprechen. Sie ist jedoch dann aufgehoben, wenn ein volljähriges Kind eine eigene Wohnung alleine oder mit Dritten bezieht. Anlass und Gründe dafür, mögen sie auch tragisch sein, ändern daran nichts, wenn die räumliche Trennung nicht nur vorübergehend ist, sondern auf einer langfristigen Entscheidung über getrennte Wohnverhältnisse beruht.

2. Die wirtschaftliche Abhängigkeit des studierenden Sohnes vom Bar- und Naturalunterhalt der Mutter begründet auch keine gemeinsame Wirtschaftsführung, die alleine für die Anwendbarkeit des § 86 Abs. 3 VVG auch nicht ausreichen würde.

3. Eine erweiternde oder analoge Anwendung auf Fälle, in denen der VN in vollem Umfang für den Schädiger unterhaltspflichtig ist, ist auch nicht im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift (nach bisherigem Recht: Erhalt des häuslichen Familienfriedens und Vermeidung einer finanziellen Belastung des VN bei wirtschaftlicher Einheit mit Schädiger: der VN soll nicht das, was er mit der einen Hand erhalten hat, mit der anderen wieder herausgeben müssen) und unter verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Soweit das BVerfG entschieden hat, dass ein minderjähriges Kind getrennt lebender Eltern auch mit demjenigen Elternteil in häuslicher Gemeinschaft lebt, das regelmäßig sein Umgangsrecht wahrnimmt und in dieser Zeit das Kind in seinen Haushalt aufnimmt (Urteil vom 12.10.2010 1 BvL 14/09), ist dies nicht vergleichbar mit Fällen, in denen ein Elterteil seinem studierenden Kind unterhaltspflichtig ist. Allein die Unterhaltspflicht gebietet keine Gleichstellung von getrennt Lebenden mit zusammen Lebenden.

 

Normenkette

VVG § 86 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 41 O 289/10)

 

Tenor

In dem Rechtsstreit .../. ... weist der Senat nach Vorberatung darauf hin, dass er die Berufung des Beklagten aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils in der Sache nicht für begründet erachtet; allerdings leidet das erstinstanzliche Verfahren darunter, dass dem Beklagten keine Abschrift von den mit Schriftsatz vom 27.12.2010 eingereichten Versicherungsbedingungen und dem Versicherungsschein übersandt bzw. überreicht wurde, obwohl der Ausgleichsanspruch und der Übergang des Schadenersatzanspruchs gem. § 426 Abs. 1 S. 2 BGB (i.V.m. § 116 Abs. 1 S. 2 VVG bzw. - nach altem Recht - § 3 Nr. 9 S. 2 PflVG) und § 426 Abs. 2 BGB in der Kfz-Haftpflichtversicherung auf der sich aus den Bedingungen ergebenden Leistungsfreiheit der Klägerin gegenüber dem Beklagten als mitversichertem Fahrer beruht, wie im angefochtenen Urteil ausgeführt (Leistungsfreiheit gem. § 2b Abs. 1 S. 1e) AKB, wenn der Fahrer infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen). Die fehlende Übersendung ist deshalb nachzuholen.

 

Gründe

Die geltend gemachten Ansprüche sind nicht verwirkt. Eine Verwirkung kommt nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Für die Beurteilung der Zeitspanne, die bis zum Eintritt der Verwirkung verstrichen sein muss, kommt es grundsätzlich auf die Umstände des Einzelfalls an. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass bei kurzen Verjährungsfristen wie der hier geltenden Verjährungsfrist von drei Jahren gem. §§ 195,199 BGB eine weitere Abkürzung dieser Verjährungsfrist durch Verwirkung nur noch unter ganz besonderen Umständen angenommen werden kann (BGH NIW 2011, 212 Rz. 22 zit. nach Juris). Solche besonderen Umstände, die die (verspätete) Geltendmachung der Ansprüche als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen würden, liegen hier nicht vor. Dem steht bereits entgegen, dass die Klägerin durch das Betreiben des Mahnverfahrens gegenüber dem Beklagten klar zum Ausdruck gebracht hat, dass sie den von ihm vorgebrachten Einwendungen nicht folgt und gewillt ist, ihre Rechte zu verfolgen. Durch die Zustellung des Mahnbescheides ist der Beklagte in Verzug geraten (§ 286 Abs. 1 S. 2 BGB). Der säumige Schuldner kann grundsätzlich kein berechtigtes Vertrauen entwickeln, dass der Berechtigte seine Forderung nicht mehr durchsetzen werde. Allein das Verstreichenlassen eines Zeitraumes von ca. einem Jahr für die Einzahlung der weiteren Gerichtskosten und die hierdurch bewirkte Verzögerung bei der Abgabe des Verfahrens an das für das streitige Verfahren zuständige Gericht reicht dafür nicht aus. Die im Schriftsatz vom 1.11.2011 S. 4 zitierte Entscheidung des BGH betrifft einen Unterhaltsrechtsstreit, in dem die Besonderheiten des Unterhaltsanspruchs zu berücksichtigen sind. Bei Unterhaltsansprüchen, die sich u...

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