Leitsatz (amtlich)

1. Das Recht des Betroffenen auf Einsicht in nicht bei den Akten befindliche Messunterlagen hat seinen Ursprung im Recht auf Gewährleistung eines fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK.

2. Die zulässige Verfahrensrüge erfordert insbesondere die Darlegung, dass der Betroffene den Zugang zu nicht zur Akte genommenen Unterlagen schon rechtzeitig im Bußgeldverfahren begehrt und im Verfahren nach § 62 OWiG weiterverfolgt hat.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 05.01.2021; Aktenzeichen (318 OWi) 3031 Js-OWi 4177/20 (505/20))

 

Tenor

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. Januar 2021 wird, ohne dass der Beschluss einer Begründung bedarf (§ 80 Abs. 4 Satz 3 OWiG), verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seiner nach § 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG als zurückgenommen geltenden Rechtsbeschwerde zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 

Gründe

Der Senat merkt ergänzend an:

Da gegen den Betroffenen lediglich eine Geldbuße in Höhe von 160 Euro verhängt worden ist, kommt gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nur in Betracht, wenn sie zur Fortbildung des Rechts, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs geboten ist.

1.

Soweit der Betroffene eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung, eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren, des Rechtsstaatsprinzips und des allgemeinen Freiheitsrechts rügt, weil das Amtsgericht seinen Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung zum Zweck der Auswertung von Messunterlagen abgelehnt habe, dringt er nicht durch.

a) Es kann dahinstehen, ob die erhobene Verfahrensrüge, die Ablehnung seines Antrags auf Aussetzung der Hauptverhandlung verletze den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, den Zulassungsvoraussetzungen von §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht. Denn jedenfalls ist sie unbegründet.

Zwar ist obergerichtlich geklärt, dass der Verteidiger, soweit dies zur Überprüfung des standardisierten Messverfahrens erforderlich ist, grundsätzlich auch in solche Unterlagen Einsicht nehmen kann, die sich nicht bei den Akten befinden (vgl. insoweit grundlegend die sog. Spurenakten-Entscheidung des BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1983 - 2 BvR 864/81 -, juris; s.a. Senat, Beschlüsse vom 5. November 2020 - 3 Ws (B) 263/20 - und 2. April 2019 - 3 Ws (B) 97/19 -, beide juris m.w.N.; Thüringer OLG, Beschluss vom 17. März 2021 - 1 OLG 331 Subs 23/20 -, juris). Weiter ist geklärt, dass das Informations- und Einsichtsrecht des Verteidigers daher deutlich weiter gehen kann als die Amtsaufklärung des Gerichts, und dass solch weitreichende Befugnisse dem Verteidiger im Vorfeld der Hauptverhandlung auch und gerade bei standardisierten Messverfahren zustehen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 5. November 2020 a.a.O. und 2. April 2019 a.a.O.). Obergerichtlich ist auch geklärt, dass diese Informations- und Einsichtsrechte aber nicht aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG abzuleiten sind (vgl. Senat StraFo 2018, 383). Der hier einschlägige Grundsatz der "Waffengleichheit", der dem Betroffenen die Möglichkeit verschafft, sich kritisch mit den durch die Verfolgungsbehörden zusammengetragenen Informationen auseinanderzusetzen, hat seinen Ursprung vielmehr im Recht auf Gewährleistung eines fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. November 2020 - 2 BvR 1616/18 -, juris; Senat, Beschlüsse vom 5. November 2020 a.a.O. und 2. April 2019 a.a.O. und vom 6. August 2018 - 3 Ws (B) 168/18 - juris).

b) Soweit der Betroffene seinen Zulassungsantrag zugleich auf einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens stützt, genügt sein Vorbringen nicht den Anforderungen von §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Die einhellige Rechtsprechung interpretiert § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO dahin, dass in der Regel die tatsächlichen Umstände, die den behaupteten Verfahrensmangel ergeben, so vollständig und genau anzugeben sind, dass das Rechtsmittelgericht allein aufgrund der Rechtfertigungsschrift, also ohne Blick in die Akten, im Sinne einer vorgenommenen Schlüssigkeitsprüfung erschöpfend prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen werden (vgl. Franke in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 344 Rn. 78). Der Betroffene kann mit dem Einwand unzulässiger Informationsbeschränkung im Gerichtsverfahren unter dem Gesichtspunkt unfairer Verfahrensgestaltung nur durchdringen, wenn er darlegt, welche Anstrengungen insbesondere auch außerhalb der Hauptverhandlung (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 7. Mai 2020 - 2 OWi 6 SsRs 120/20 -, BeckRS 2020, 10860) unternommen worden sind, um der Unterlagen in der vom Betroffenen begehrten Form habhaft zu werden (vgl. Senat, Beschluss vom 5. November 2020 a.a.O.) und wie sich die Verwaltungsbehörde und ggfs. das Gericht angesichts dieser Anstrengungen verhal...

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