Leitsatz (amtlich)

Ein Richter kann wegen Befangenheit abgelehnt werden, obwohl er objektiv nicht befangen ist, wenn er in einstweiligen Anordnungsverfahren betreffend die elterliche Sorge und den Umgang auf mehrmalige Anträge auf Terminierung über mehrere Monate ohne Angabe von Gründen nicht reagiert.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 06.07.2007; Aktenzeichen 177 ABL 50/07, 160 F 1744/07)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG Tempelhof-Kreuzberg vom 6.7.2007 - 177 Abl 50/07 - geändert und der Befangenheitsantrag der Antragstellerin gegen den Richter von J. für begründet erklärt.

 

Gründe

Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 11.2.2007 zum Hauptverfahren beantragt, ihr die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder der Parteien und hinsichtlich der Tochter K. zum Sonderheft I - Verfahren ihr im Wege der einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung das Aufenthaltsbestimmungsrechts allein zu übertragen.

Hintergrund dieser Anträge ist, dass der Vater, der mit der Mutter gemeinsam die elterliche Sorge für die im Haushalt der Mutter lebenden drei gemeinsamen Kinder ausübt, die Tochter K. auf deren Wunsch hin nach einem Ferienaufenthalt nicht mehr zur Mutter zurückgebracht hat. Das Kind lebt seitdem im Haushalt des Vaters und ist von ihm gegen den Willen der Mutter auch bereits umgeschult worden.

Der Vertreter des zuständigen Richters veranlasste daraufhin, dass der Vater innerhalb einer Woche zu dem Antrag im einstweiligen Anordnungsverfahren Stellung nimmt und die zuständigen Jugendämter zur Sache berichten. Nachdem der Antragsgegner Stellung genommen hatte, bat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 26.2.2007 (Bl. 34 ff. SH I) noch einmal dringend um eine Entscheidung im Hinblick auf die Schulpflicht des Kindes und eine geplante Mutter-Kind- Kur, die am 14.3.2007 beginnen und an der K. teilnehmen sollte. Eine Reaktion des Gerichts erfolgte darauf nicht. Die Antragstellerin regte daraufhin mit Schriftsatz vom 14.3.2007 an, einen Termin zur persönlichen Anhörung des Kindes in den anstehenden Osterferien anzuberaumen. Im selben Schriftsatz wies sie daraufhin, dass sie die Mutter-Kind-Kur habe verlegen können auf den 25.4.2007 und diese bis zum 16.5.2007 dauere. Zugleich bat sie erneut um baldige Entscheidung in der Sache.

Zwischenzeitlich hatte das Bezirksamt Neukölln zum Hauptverfahren in seinem Bericht vom 9.3.2007 empfohlen, noch keine Entscheidung über die gestellten Anträge zu treffen, da nach dem Eindruck der zuständigen Sozialarbeiterin des Jugendamts Lüchow-Dannenberg K. ernsthaft und nach reiflicher Überlegungen beim Vater bleiben möchte. Mit Schriftsatz vom 22.3.2007 widersprach die Antragstellerin der Empfehlung des Jugendamts und bat um eine kurzfristige Mitteilung oder Entscheidung in der Sache. Eine Reaktion des Gerichts erfolgte darauf nicht.

Mit Schriftsatz vom 3.4.2007 beantragte die Mutter nunmehr im Hinblick auf die bevorstehende Mutter-Kind-Kur ihr im Wege der einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung den Umgang mit dem Kind in der Zeit vom 25.4.2007 bis 16.5.2007 zur Teilnahme an der Mutter-Kind-Kur zu gestatten und ferner ab Juni 2007 den Umgang zu regeln, um einer Entfremdung bis zum Abschluss des Hauptverfahrens vorzubeugen.

Mit Schriftsatz vom 6.4.2007 bat sie erneut, mit Hinweis auf das bestehende Beschleunigungsgebot, eine baldige Entscheidung herbeizuführen. Die Vertreterin des zuständigen Richters, Richterin am AG L., informierte den Verfahrensbevollmächtigten am 20.4.2007 telefonisch darüber, dass der Antrag auf Umgangsregelung für die Mutter-Kind-Kur keine Aussicht auf Erfolg habe.

Mit Schriftsatz vom 18.5.2007 lehnte die Antragstellerin den zuständigen Richter von J. wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Mit Beschluss vom 6.7.2007 wies das AG den Befangenheitsantrag der Mutter zurück.

Wegen der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Mutter, die der Auffassung ist, dass es für sie nicht nachvollziehbar sei, aus welchen Gründen bisher keine Entscheidung ergangen sei und aus welchen Gründen nicht eine mündliche Anhörung wenigstens zu ihrem Antrag auf Regelung des Umgangs anberaumt worden sei, um einer drohenden Entfremdung entgegenzuwirken. Auch wenn das Jugendamt eine Aussetzung des Verfahrens von sechs Monaten empfohlen habe, könne diese Auffassung des Jugendamts nicht für die Entscheidung des Richters allein maßgebend sein. Auch dürfe ihr nicht zum Nachteil gereichen, dass der Richter häufig vertreten worden sei.

Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 46 Abs. 2, 568 ZPO zulässig und in der Sache begründet.

Nach § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit dann abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Nach einhelliger Auffassung braucht der Richter objektiv nicht befangen zu sein; es genügt ein Grund, der vom Standpunkt einer vernünftigen ...

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