Leitsatz (amtlich)

1. Der Angeklagte hat keinen Anspruch auf Überlassung der im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung oder Fahrzeuginnenraumüberwachung aufgezeichneten, amtlich verwahrten Daten zum Zweck der Besichtigung dieser Beweismittel. Die Strafprozessordnung sieht ein solches Recht des Angeklagten nicht vor, außerdem verbietet der Schutz der Grundrechte drittbetroffener Personen die Herausgabe der Daten.2. Grundsätzlich hat auch der Verteidiger keinen Anspruch auf Überlassung dieser Beweisstücke; die Einsichtnahme findet am Ort der amtlichen Verwahrung statt (§ 147 Abs. 4 Satz 1 StPO).

 

Tenor

Der Antrag der Verteidigung, den Angeklagten digitale Kopien sämtlicher Audioaufzeichnungen der Telekommunikationsüberwachung bzw. der Fahrzeuginnenraumüberwachung zur Besichtigung der Beweismittel zu überlassen, wird abgelehnt.

 

Gründe

I. Über den zulässigen Antrag auf Besichtigung der Beweismittel durch die Angeklagten in der Form, dass ihnen die im Zuge der Telekommunikations- und Fahrzeuginnenraumüberwachung gespeicherten Audiodateien in digitaler Kopie auf ihnen zur Verfügung gestellten Laptops zur Einsicht überlassen werden, hat entsprechend § 147 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 letzter HS StPO derzeit der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts zu entscheiden.

II. Der Antrag ist unbegründet. Die Strafprozessordnung sieht ein Recht des Angeklagten zur Besichtigung der amtlich verwahrten Beweismittel nicht vor. Der Schutz der Grundrechte drittbetroffener Personen verbietet die Herausgabe der Daten.

1. Die aufgezeichneten und beim Landeskriminalamt gespeicherten Daten der Telekommunikationsüberwachung, die zwischenzeitlich in Kopie auch dem Senat und den Verteidigern auf 44 DVDs bzw. transportablen Festplatten vorliegen, unterliegen dem Recht auf Akteneinsicht und Besichtigung amtlich verwahrter Beweisstücke gemäß § 147 Abs. 1 StPO. Denn dazu gehören die - konkretisiert durch die Identität von Tat und Täter - vom ersten Zugriff der Polizei (§ 163 StPO) an gesammelten Beweismittel einschließlich etwaiger Bild- und Tonaufnahmen (vgl. BGH NStZ 2014, 347; StraFo 2009, 338; a.A. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 147 Rdn. 19, wonach das Besichtigungsrecht kein Teil des Akteneinsichtsrechts sei). Die hier in Rede stehenden Tonaufzeichnungen sind Augenscheinsobjekte, die als Beweisstücke nach § 147 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 147 Abs. 1 StPO grundsätzlich nur am Ort ihrer amtlichen Verwahrung besichtigt bzw. angehört werden können (vgl. BGH a.a.O.).

2. Die Angeklagten selbst haben - wie der Verteidigung bereits mit Schreiben vom 22. Dezember 2015 mitgeteilt wurde - keinen Anspruch auf Akteneinsicht. Dazu ist lediglich der Verteidiger befugt (vgl. BVerfGE 53, 207, 212, 215 und 62, 338, 343; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 10. Juli 2001 - 3 Ws 656/01 -; OLG Düsseldorf JZ 1986, 508; OLG Stuttgart NStZ 1986, 45, 46; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 147 Rdn. 3f).

Dem Begehren der Angeklagten steht aber nicht nur der fehlende Anspruch auf Akteneinsicht, sondern überdies das Verbot der Herausgabe von Daten der Telekommunikationsüberwachung aus dem Kontrollbereich der Justiz entgegen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. Februar 2015 - 2 Ws 8/15 -; OLG Celle StV 2016, 156; allgemein für Beweisstücke Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 147 Rdn. 30 m.w.N.). Denn die Aufzeichnung von Telefongesprächen führt zu einem Eingriff in das grundrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) Dritter, der durch die Weitergabe von Kopien unkontrollierbar vertieft würde. Bei der Telekommunikationsüberwachung werden ebenso wie bei der Fahrzeuginnenraumüberwachung sämtliche Gespräche ohne Differenzierung nach den Gesprächspartnern oder den Inhalten der Gespräche aufgezeichnet und anschließend ausgewertet. Damit werden - wie auch hier - regelmäßig auch Gespräche mit oder zwischen Personen erfasst, die offensichtlich in keiner Weise mit der aufzuklärenden Tat in Verbindung stehen. Zudem besteht die Möglichkeit der Aufzeichnung von Gesprächen, die dem absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind. Da bei den Überwachungsmaßnahmen keine realistische Möglichkeit besteht, den erforderlichen Grundrechtsschutz für betroffene Dritte schon im Rahmen der Aufzeichnungen der Gespräche sicherzustellen, und da der Grundrechtseingriff nicht nur in der Aufzeichnung und dem anschließenden Abhören der Gespräche besteht, sondern sich durch die Speicherung, Verwendung und Weitergabe der gewonnenen Informationen fortsetzt und vertieft (BVerfG NJW 2004, 999, 1005), muss im Verlauf des weiteren Verfahrens darauf geachtet werden, dass der bestehende Grundrechtseingriff auf keinen Fall weiter als unbedingt erforderlich vertieft wird. Der hohe Rang des Schutzes der Grundrechte Dritter spiegelt sich in den Vorschriften der StPO wieder. Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen nach § 100a StPO dürfen nur für die dort genannten schweren Straftaten und nur durch einen Richter angeordnet werden (§ 100b Abs. 1 StPO). Für die von d...

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