Leitsatz (amtlich)

Auch für eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland, mit der ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch wegen Nichtumsetzung von EU-Richtlinien verfolgt werden soll, kann Prozesskostenhilfe für eine juristische Person nur unter den Voraussetzungen des § 116 ZPO bewilligt werden.

Die Regelung des § 116 Nr. 2 ZPO steht mit dem Grundgesetz im Einklang.

Die Vorschrift des § 116 Nr. 2 ZPO ist nicht europarechtswidrig. Sie verstößt weder gegen die Grundsätze des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruches, noch gegen den in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 04.03.2008; Aktenzeichen 23 O 558/07)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 15.4.2008 gegen den Beschluss des LG Berlin vom 4.3.2008 (23. O. 558/07) wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die im Jahre 1998 gegründete Antragstellerin, eine GmbH, deren Geschäftsführer ihr Alleingesellschafter ist, beantragt Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland, mit der ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch wegen Nichtumsetzung von EU-Richtlinien verfolgt werden soll.

Sie begehrt Schadenersatz wegen verspäteter Umsetzung der Richtlinien 98/30/EG vom 11.6.1998 und 2003/55/EG vom 26.6.2003 durch die Antragsgegnerin, welche den diskriminierungsfreien Zugang zu den nationalen Gasnetzen hätten ermöglichen sollen. Die Antragstellerin habe deshalb ggü. den deutschen Netzbetreibern ihren Zugang zu deren Gasnetzen nicht durchsetzen können, weswegen ihr im Zeitraum Ende 2000 bis 2004/2005 aus anderenfalls zustande gekommenen Gaslieferverträgen mit Lieferanten ein Gewinn i.H.v. ca. 3,7 Mrd. Euro entgangen sei.

Den gem. § 12 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) erforderlichen Gerichtskostenvorschuss kann die Antragstellerin, die weder Arbeitnehmer beschäftigt noch Gläubiger hat, mangels Einnahmen und Vermögen nicht aufbringen. Ebenso stehen ihr keine finanziellen Mittel zur Verfügung, einen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten zu beauftragen.

Das LG Berlin hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 116 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht vorliegen. Ob die Klage der Antragstellerin Aussicht auf Erfolg hat, hat das LG nicht geprüft.

Auf eine im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 234 EG erfolgte Vorlage des Senates u.a. zur Frage der Vereinbarkeit der Regelung des § 116 ZPO mit dem europäischen Recht hat der EuGH das Urteil vom 22.12.2010 (C-279/09, ZIP 2011, 143) erlassen.

II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

1. Der Antragstellerin kann Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage nicht bewilligt werden, weil die Voraussetzungen des § 116 Nr. 2 ZPO vorliegend nicht gegeben sind.

Nach dieser Vorschrift erhält eine juristische Person - die Erfolgsaussicht ihrer Rechtsverfolgung vorausgesetzt - auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Nach der zu dieser Vorschrift ergangenen Rechtsprechung läuft die Unterlassung der Rechtsverfolgung der Antragstellerin im vorliegenden Fall allgemeinen Interessen jedoch nicht zuwider.

Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Entscheidung größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens anspricht oder soziale Wirkung nach sich ziehen kann (BGH, Beschl. v. 20.12.1989 - VIII ZR 139/89, NJW-RR 1990, 474). Die Unterlassung der Rechtsverfolgung kann deshalb allgemeinen Interessen zuwider laufen, wenn eine juristische Person ohne die Durchführung des Rechtsstreits der Allgemeinheit dienende Aufgaben nicht mehr erfüllen könnte oder aber wenn von der Durchführung des Rechtsstreits die Existenz der juristischen Person abhängt und deshalb Arbeitsplätze verloren gehen oder eine Vielzahl von Gläubigern geschädigt werden könnten. Dies ist im Falle der Antragstellerin nicht gegeben, weil diese weder Arbeitnehmer beschäftigt noch Gläubiger hat. Allein das wirtschaftliche Interesse ihres Alleingesellschafters an der Durchsetzung des geltend gemachten Schadenersatzanspruches stellt kein allgemeines Interesse dar.

Zwar ermöglicht der Rechtsbegriff "allgemeine Interessen" alle nur denkbaren allgemeinen Interessen zugunsten der juristischen Person in die Überlegung einzubeziehen (BGH, Beschl. v. 24.10.1990 - VIII ZR 87/90, NJW 1991, 703). Das allgemeine Interesse an einer richtigen Entscheidung genügt hierfür regelmäßig jedoch nicht. Ebenso wenig reicht der Umstand aus, dass bei der Entscheidung des Rechtsstreits Rechtsfragen von allgemeinem Interesse zu beantworten sein mögen (BGH, Beschl. v. 20.12.1989 - VIII ZR 139/89, NJW-RR 1990, 474). Insoweit fehlt es - wie auch im vorliegenden Fall - an einem tatsächlichen, die Allgemeinheit betreffenden Nachteil, der über das etwaige Unterbleiben eines ...

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