Leitsatz (amtlich)

Ein wichtiger Grund für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus ist nur dann gegeben, wenn das Verfahren durch Umstände verzögert worden ist, denen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte durch geeignete Maßnahmen nicht haben entgegen wirken können. Maßgeblich ist insoweit, ob die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte alle zumutbaren Maßnahmen getroffen haben, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen. Die hierzu entwickelten Maßstäbe gelten gleichermaßen für Gerichte wie für Staatsanwaltschaft und Polizei. Auch die - nicht nur kurzfristige, auf unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse zurückgehende - Überlastung der Ermittlungsbehörden infolge einer Häufung anhängiger Untersuchungshaftsachen und/oder unzureichender personeller Ausstattung kann nicht als wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO anerkannt werden. Deren Überlastung fällt, wie die eines Gerichts, in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Der Beschuldigte darf nicht länger als verfahrensangemessen in Untersuchungshaft gehalten werden, nur weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht, (auch) die Ermittlungsbehörden personell und sachlich so auszustatten, dass sie ihren Aufgaben bei der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten in angemessener Zeit nachkommen können, zu genügen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 12.12.2017; Aktenzeichen (539 KLs) 255 Js 48/17 (63/17))

 

Tenor

Die Haftbefehle des Landgerichts Berlin vom 12. Dezember 2017 - (539 KLs) 255 Js 48/17 (63/17) - werden aufgehoben.

 

Gründe

I.

Gegen den (erwachsenen) Angeschuldigten B und die zur Tatzeit heranwachsenden Angeschuldigten S und M ist das Zwischenverfahren vor dem Landgericht Berlin - Jugendkammer - anhängig.

1. Die Staatsanwaltschaft Berlin wirft den Angeschuldigten B und S mit der am 4. Dezember 2017 beim Landgericht eingegangenen Anklageschrift vom 1. Dezember 2017 vor, in B. und anderenorts in der Zeit vom 10. Oktober 2016 bis zum 11. Mai 2017 durch 14 selbständige Handlungen in zehn Fällen (Fälle 1 bis 9 und 11) gemeinschaftlich und gewerbsmäßig handelnd fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sachen sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wobei sie zur Ausführung der Tat in einen Geschäftsraum eingebrochen sein sollen, und dabei zugleich rechtswidrig fremde Sachen beschädigt zu haben; in den Fällen 2 bis 4, 7 und 8 sollen sie zugleich zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde gebraucht haben. In weiteren vier Fällen (Fälle 12 bis 15) sollen sie gemeinschaftlich mit dem Angeschuldigten M gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Diebstählen verbunden hat, unter Mitwirkung anderer Bandenmitglieder gestohlen haben, wobei sie zur Ausführung der Tat jeweils in einen Geschäftsraum eingebrochen sein und zugleich rechtswidrig fremde Sachen beschädigt haben sollen. Dem Angeschuldigten B liegt darüber hinaus zur Last, durch eine weitere selbständige Handlung im Fall 10 der Anklage eine Urkundenfälschung begangen zu haben. Verfahrensgegenständlich sind - neben dem vorgenannten Urkundendelikt (Anbringung nicht zum Fahrzeug ausgegebener, zuvor entwendeter Kennzeichentafeln an dem von ihm genutzten PKW Audi A8) - sogenannte Blitzeinbrüche in Tankstellen und andere Verkaufsräume zur Nachtzeit, bei denen die Angeschuldigten - seit dem 26. April 2017 basierend auf einer entsprechenden Bandenabrede und zu dritt, vorher (nur) die Angeschuldigten B und S gemeinschaftlich - die (gläsernen) Eingangstüren der Geschäftsräume durch körperliche Gewalt überwunden und überwiegend Tabakwaren in zumeist vierstelligem Eurowert, in einem Fall auch Mobiltelefone und ein Tablet erbeutet und erheblichen Sachschaden an den Türen und Einrichtungsgegenständen der Geschäfte verursacht haben sollen. Wegen der Einzelheiten der den Angeschuldigten zur Last gelegten Taten nimmt der Senat auf die Anklageschrift Bezug.

Der Vorsitzende der Jugendkammer hat nach Prüfung der Anklageschrift unter dem 8. Dezember 2017 deren Zustellung an die Angeschuldigten verfügt und eine Frist zur Stellungnahme im Zwischenverfahren von zehn Tagen bestimmt. Über die Eröffnung des Hautverfahrens ist noch nicht entschieden. Im Falle der Eröffnung soll die Hauptverhandlung am 1., 6., 8., 13., 20., 27. und 29. März sowie am 3., 5., 10., 12., 17., 19., 24. und 26. April 2018 durchgeführt werden.

2. Die Angeschuldigten sind aufgrund der Haftbefehle des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 21. Juni 2017 - (348 Gs) 255 Js 48/17 (1898/17) - am 23. Juni 2017 festgenommen worden. Während der Angeschuldigte M am selben Tag vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont worden ist, befinden sich die Angeschuldigten B und S seither ununterbrochen in Untersuchungshaft, der Angeklagte B in der Justizvollzugsanstalt M., der Angeschuldigte S in der Jugendstrafanstalt B..

a) Die (ursprüngliche) Haftanordnung war sowohl hinsichtlich de...

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