Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Unterbrechung der Verfolgungsverjährung durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG

 

Orientierungssatz

Orientierungssatz:

Wird nach Erlass des Bußgeldbescheides und vor Übersendung der Akten an das Amtsgericht nach § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt, unterbricht die Übersendung der Akten an das Amtsgericht zwecks Entscheidung über den Antrag die Verfolgungsverjährung nach § 33 Abs. 1 Nr. 10 OWiG nicht.

 

Normenkette

OWiG § 33 Abs. 1 Nr. 10, § 46 Abs. 1, § 69 Abs. 3, 4 S. 2; StPO § 206a

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 23.02.2023; Aktenzeichen 318 OWi 1271/22)

 

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. Februar 2023 aufgehoben.

2. Das Verfahren wird eingestellt.

3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

 

Gründe

I.

Die Polizei Berlin hat gegen den Betroffenen am 14. Dezember 2021 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 1500,00 Euro und ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt. Auf den am 6. Januar 2022 zugestellten Bußgeldbescheid reagierte der Betroffene mit einem am 7. Januar 2022 bei der Polizei eingegangenen Antrag auf Ratenzahlung und "Umwandlung des Fahrverbotes". Die Polizei hat ihm Ratenzahlung gewährt und ihn am 11. April 2022 schriftlich aufgefordert, seinen Führerschein abzugeben, weil sie meinte, der Bußgeldbescheid sei insoweit rechtskräftig geworden. Mit Schriftsatz vom 31. März 2022 hat seine Verteidigerin Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt, den die Polizei mit Bescheid vom 26. April 2022 als unzulässig, weil verspätet, verworfen hat. Mit bei der Polizei am 5. Mai 2022 eingegangenen anwaltlichen Schreiben hat die Verteidigerin einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Zwecks Entscheidung darüber waren die Akten am 17. Mai 2022 beim Amtsgericht eingegangen. Das Gericht hat mit Beschluss vom 25. Juli 2022 den Bescheid der Polizei vom 26. April 2022 nur hinsichtlich der Rechtsfolge aufgehoben und i.Ü. den Antrag verworfen, weil es bereits das Schreiben des Betroffenen als ein auf die Rechtsfolge beschränkten Einspruch gegen den Bußgeldbescheid bewertet hat. Anschließend hat es die Akten zurückgesandt.

Die Amtsanwaltschaft hat am 4. Oktober 2022 dem Amtsgericht die Akten vorgelegt, das den Betroffenen am 23. Februar 2023 auf der Grundlage des im Übrigen rechtskräftigen Bußgeldbescheides zu einer Geldbuße von 1270,00 Euro unter Gewährung von Ratenzahlung und einem Fahrverbot von zwei Monaten verurteilt hat. Zugleich hat es eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.

Gegen das Urteil hat die Verteidigerin für den Betroffenen rechtzeitig die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsbeschwerde eingelegt, die auf die vollständige Aufhebung des Urteils und die Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung gerichtet ist.

II.

Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a Abs.1 StPO.

1. Auf die Sachrüge ist bereits v.A.w. zu prüfen, ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen (vgl. BGHSt 21, 242). Diese ergibt, dass Verfolgungsverjährung bereits eingetreten war, als die Amtsanwaltschaft die Akten am 4. Oktober 2022 dem Gericht nach § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG vorgelegt hat.

a) Ausweislich des dem Senat im Wege des Freibeweises zugänglichen Akteninhalts hat der Betroffene die verfahrensgegenständliche Handlung am 13. August 2021 begangen. Da sein Aufenthalt nicht ermittelt werden konnte, hat die Polizei am 22. Oktober 2021 das Verfahren vorläufig eingestellt, wodurch der Lauf der dreimonatigen Verfolgungsverjährung unterbrochen wurde (§ 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG). Am 11. November 2021 hat sie die Anhörung des Betroffenen veranlasst, so dass bei Zustellung des Bußgeldbescheides vom 14. Dezember 2021 am 6. Januar 2022 die dreimonatige Verjährungsfrist nach §§ 31 Abs. 1 Nr. 9 OWiG, 26 Abs. 3 StVG noch nicht abgelaufen war. Die durch die Zustellung bewirkte Unterbrechung hatte nach § 26 Abs. 3 StVG zugleich die Verlängerung der Frist der Verfolgungsverjährung von drei auf sechs Monate zur Folge. Diese am 5. Juli 2022 abgelaufene Frist ist nicht erneut unterbrochen worden.

b) Weder der Eingang der Akten beim Gericht am 17. Mai 2022 zwecks Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Betroffenen (§§ 69, 62 OWiG) noch die Rückgabe der Akten nach Erlass des Beschlusses haben zu einer weiteren Unterbrechung der Verfolgungsverjährung nach § 31 Abs. 1 Nr. 10 OWiG geführt. Denn die Übersendung der Akten hat keine Aktenübersendung i.S.v. § 69 Abs. 3 OWiG dargestellt, weil die hiesige Vorlage auf anderen als den in diesen Regelung...

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