Entscheidungsstichwort (Thema)

Sich selbst verteidigender Rechtsanwalt als Betroffener. Verfahrenshindernis wegen Doppelahndung nach § 84 Abs. 1 OWiG bei einer Dauerordnungswidrigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unterschreibt und begründet ein Betroffener, der zugelassener Rechtsanwalt ist, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, so erfüllt er die Formerfordernisse nach §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 345 Abs. 2 StPO.

2. Die vorschriftwidrige Nichtanmeldung eines Fahrzeuges zur Hauptuntersuchung nach § 29 Abs. 1 Satz 1 StVZO i.V.m. Nr. 2.1 der Anlage VIII ist eine Dauerordnungswidrigkeit.

3. Diese Dauerordnungswidrigkeit ist jedenfalls mit der Ahndung der Tat durch ein tatrichterliches Urteil oder durch einen rechtskräftigen Bußgeldbescheid beendet.

4. Die Zäsurwirkung tritt durch die Entscheidung ein, die letztmalig die Schuldfeststellung getroffen hat.

5. Unterlässt der Betroffene auch nach einer solchen Entscheidung die vorgeschriebene Handlung, so beginnt eine neue Tat, die wiederum - selbstständig - geahndet werden kann.

 

Normenkette

OWiG § 80 Abs. 3 S. 3, § 84 Abs. 1; StPO § 345 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 27.12.2019; Aktenzeichen 304 OWi 669/19)

 

Tenor

1. Auf Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 27. Dezember 2019 aufgehoben.

2. Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 6. November 2019 wird verworfen.

3. Der Betroffene hat die Kosten seiner nach § 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG als zurückgenommen geltenden Rechtsbeschwerde zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 

Gründe

Die Bußgeldbehörde der Stadt D. hat gegen den Betroffenen mit Bescheid vom 19. März 2019 wegen unterlassener Vorführung seines Kraftfahrzeuges zur fälligen Hauptuntersuchung wobei der Termin um mehr als acht Monate überschritten war (Feststellungsdatum: 13. November 2018), ein Bußgeld von 60 Euro festgesetzt. Dieser Bußgeldbescheid ist nach Ablauf der Rechtsmittelfrist rechtskräftig geworden.

Der Polizeipräsident von B. hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 3. April 2019 wegen desselben Vorwurfes (Feststellungsdatum: 16. Januar 2019) eine Geldbuße von 160 Euro festgesetzt. Zu dem auf den Einspruch festgelegten Hauptverhandlungstermin am 6. November 2019 ist der Betroffene, der zugelassener Rechtsanwalt ist und nicht von seiner Präsenzpflicht entbunden war, trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht erschienen.

Gegen das dem Betroffenen am 14. November 2019 zugestellte Urteil, mit dem das Gericht seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hatte, hat er einen von ihm selbst unterzeichneten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt, diesen mit Hinweis auf eine unzulässige Doppelahndung begründet, weil derselbe Vorwurf Gegenstand des der Antragsschrift beigefügten Bußgeldbescheides der Stadt D. vom 18. Januar 2019 gewesen sei.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 27. Dezember 2019 den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zurückgewiesen, weil die Beschwerdeanträge nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichnet worden seien. Diese Entscheidung wurde dem Betroffenen am 9. Januar 2020 zugestellt. Er hat mit bei Gericht am 16. Januar 2020 eingegangem Schriftsatz einen Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gestellt.

Zur Begründung trägt er vor, dass er als zugelassener Rechtsanwalt die Beschwerdeanträge unterschrieben und damit dem Formerfordernis nach §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 345 Abs. 2 StPO entsprochen habe.

II.

1. Der Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zulässig, insbesondere rechtzeitig und begründet. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 27. Dezember 2019 war aufzuheben.

Der Betroffene hat - entgegen der Auffassung des Amtsgerichts - rechtzeitig den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt und begründet. Denn das in Abwesenheit des Betroffenen ergangene Urteil vom 6. November 2019 ist ihm ausweislich der Zustellungsurkunde am 14. November 2019 zugestellt worden. Der Betroffene hat mit bei Gericht am 20. November 2019 eingegangenem Schreiben die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Der Umstand, dass er den Antrag selbst begründet und unterschrieben hat, steht den Formerfordernissen nach §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 345 Abs. 2 StPO nicht entgegen, weil es sich bei dem Betroffenen um einen zugelassenen Rechtsanwalt handelt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., § 345 Rn. 13).

2. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde war zu verwerfen. Die Prüfung deckt keinen die Zulassung der Rechtsbeschwerde gebietenden Rechtsfehler auf.

Die vom Betroffenen allgemein erhobene Sachrüge, mit der er sich gegen das Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG, also ein Prozessurteil, wendet, führt lediglich zur Prüfung des Fehlens von Verfahrensvoraussetzungen und des Vorliegens von Verfahrenshindernissen (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 74 Rn. 48b m.w.N.) von Amts wegen.

D...

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