Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine analoge Erweiterung des Zulassungsgrundes nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG

 

Orientierungssatz

Orientierungssätze:

Der Zulassungsgrund des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG (Verstoß gegen rechtliches Gehör) ist auf Verstöße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht entsprechend anzuwenden.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; OWiG § 80 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 16.05.2022; Aktenzeichen 290 OWi 78/22)

 

Tenor

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 16. Mai 2022 wird, ohne dass der Beschluss einer Begründung bedürfte (§ 80 Abs. 4 Satz 3 OWiG), verworfen.

Der Schriftsatz des Verteidigers vom 9. August 2022 lag vor, gab aber zu einer anderen Bewertung keinen Anlass. Erläuternd bemerkt der Senat:

Die Verletzung einfachen Verfahrensrechts kann der Betroffene in der hier abgeurteilten Bagatellsache (Geldbuße nicht über 100 Euro) von vornherein nicht rügen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Da eine Verletzung sachlichen Rechts nicht in Rede steht, kommt nur in Betracht, dass der Betroffene in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).

Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer dem Betroffenen bekannten Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, ist eine derartige Verfahrensrüge schon nicht zulässig erhoben.

Aber selbst wenn der Senat in die Prüfung der Begründetheit einzutreten hätte, führte dies zu keinem anderen Ergebnis. Der Betroffene macht geltend, seine Verfahrensrechte seien dadurch verletzt worden, dass die Polizei Berlin einen Datenträger so "unbrauchbar beschädigt" übersandt habe, dass ein von ihm beauftragter Gutachter die Messung nicht mehr habe überprüfen können. Es ist aber obergerichtlich geklärt, dass das hier geltend gemachte Recht auf Informationszugang nicht aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG abzuleiten ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 27. April 2018 - 3 Ws (B) 133/18 - [juris], vom 22. September 2020 - 3 Ws (B) 182/20 - [juris m. Anm. Krenberger] und vom 3. Juni 2021 - 3 Ws (B) 148/21 - [juris]; BVerfGE 63, 45 [Spurenakten]; BGHSt 30, 131 [Spurenakten]; OLG Bremen NStZ 2021, 114; OLG Koblenz NZV 2021, 201; BayObLG DAR 2021, 104; Cierniak, zfs 2012, 664 [670]; Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2). Soweit der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes in seiner durch die Oberlandesgerichte einhellig abgelehnten Grundsatzentscheidung vom 27. April 2018 (NZV 2018, 275) die Informations- und Einsichtsrechte neben dem Recht auf ein faires Verfahren auch aus Art. 103 Abs. 1 GG ableiten will, folgt der Senat dem nicht.

Im nachgereichten Schriftsatz bewertet das Rechtsmittel selbst den geltend gemachten Verfahrensfehler als Verstoß gegen das faire Verfahren. Ein solcher Verstoß aber kann, worauf bereits die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hatte, nach § 80 Abs. 1 und 2 OWiG bei der hier verhängten Geldbuße nicht statthaft gerügt werden.

Der Betroffene hat die Kosten seiner nach § 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG als zurückgenommen geltenden Rechtsbeschwerde zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15404377

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