Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 12.03.2013; Aktenzeichen (561) 253 AR 95/12 Ns (60/12))

 

Tenor

1. Der Antrag des Angeklagten, ihm für das Revisionsverfahren Rechtsanwalt Y als Pflichtverteidiger beizuordnen, wird aus den Gründen der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 24. September 2013 abgelehnt.

2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. März 2013 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) verworfen.

 

Gründe

Der Senat merkt lediglich an, dass der Revision zuzugestehen ist, dass es die Vorsitzende verfahrensfehlerhaft unterlassen hat, die nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO obligatorische Negativmitteilung zu machen und gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO zu protokollieren (vgl. dazu BGH [4. Strafsenat] NStZ 2013, 541; enger BGHSt 58, 315 [2. Strafsenat] und beschränkt auf den Fall, dass tatsächlich Verständigungsgespräche stattgefunden haben). Das Bundesverfassungsgericht hat (insoweit ohne Not weit in die fachgerichtliche Bewertung eingreifend) zwar die Auffassung vertreten: Komme eine Verständigung - wie hier - nicht zu Stande und fehle es an der gebotenen Negativmitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO oder dem vorgeschriebenen Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, werde nach Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzkonzepts ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß grundsätzlich nicht auszuschließen sein (vgl. BVerfG NJW 2013, 1058, 1067; Unterstreichung durch den Senat). Es hat jedoch einschränkend ausgeführt, dies gelte dann nicht, wenn ausnahmsweise zweifelsfrei feststehe, dass es keinerlei Gespräche gegeben habe, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Sinne des § 257c StPO im Raum stand, also - mit anderen Worten - jedenfalls eine Mitteilung über den Inhalt der Gespräche schon nicht geboten war.

Es hat dazu auch weiter die Ansicht vertreten, bei einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten sei in den meisten Fällen nicht sicher auszuschließen, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige "informelle" Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgehe. Es hatte dabei jedoch ersichtlich nicht die vorliegende Fallkonstellation vor Augen. Denn: Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ging es ausschließlich um Absprachen, die sich auf (erwartete) Urteile bezogen.

Im hiesigen Fall kann der Senat ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler sicher ausschließen, weil es unstreitig keinerlei Gespräche im Hinblick auf ein Urteil oder das Urteil begleitende Beschlüsse gegeben hat, auf die die in § 257c StPO kodifizierte Regelung primär zugeschnitten ist.

Die Revision trägt insoweit lediglich vor, es habe Gespräche über eine mögliche (komplette) Verfahrenseinstellung gegeben. Der Inhalt solcher Gespräche ist jedoch nicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mitzuteilen, weil sie explizit kein Urteil zum Gegenstand haben. Denn wenn man bedenkt, dass das Gebot, hinsichtlich eines Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung (umfassende) Transparenz herzustellen, der Gewährleistung einer (öffentlichen) Kontrolle verständigungsbasierter Urteile dient, setzt die hierzu geschaffene inhaltliche Mitteilungspflicht zwingend voraus, dass überhaupt solche Gespräche stattgefunden haben, die auf eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO abzielten (vgl. KG, Beschluss vom 26. August 2013 - (4) 161 Ss 129/13 (158/13) -[juris]). Verfahrenseinstellungen nach den hier in Rede stehenden Vorschriften (§§ 153, 153a, 154 StPO) sind jedoch jederzeit - insbesondere auch außerhalb der öffentlichen Hauptverhandlung - zulässig, ohne dass dies bislang Anlass geboten hätte, ernsthaft an der Verfassungsgemäßheit dieser Vorschriften zu zweifeln. Der Angeklagte ist dadurch geschützt, dass die Beschlüsse entweder seiner ausdrücklichen Zustimmung bedürfen (§§ 153, 153a StPO) oder aber er wird vom Gesetzgeber nicht für schutzbedürftig gehalten, weshalb es seiner Mitwirkung nicht bedarf (§ 154 StPO).

Die hier in Rede stehenden verfahrensbeendenden Beschlüsse sind in ihrer Tragweite für den Angeklagten auch nicht mit einem Urteil vergleichbar. Sie setzen z.B. - anders als eine Verurteilung - keine Schuldfeststellungen voraus und enthalten solche regelmäßig nicht, sodass eine mit einem Urteil vergleichbare Schutzbedürftigkeit des Angeklagten nicht erkennbar ist. Die diesbezügliche Gesprächsbereitschaft eines Angeklagten hat im Übrigen im Falle des Scheiterns solcher Gespräche keinerlei indizielle Wirkung im Sinne eines Schuldeingeständnisses, sodass sie auch keine indirekte Bedeutung für ein im Anschluss ergangenes Urteil entfalten kann. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn Teileinstellungen Gegenstand der Erörterungen sind, denn diese können selbstverständlich Einfluss auf Schuld- und Strafausspruch des im Übrigen ergehenden Urteils haben (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2011, 49).

Die insoweit von der Revision vorgetragenen Befürchtung, "die Verärgerung über die Ablehnung des Vorschlages der Staatsanwaltschaft...

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