Entscheidungsstichwort (Thema)

EuGH-Vorlage: Kann ein Unternehmen unmittelbar Betroffener im Bußgeldverfahren wegen eines Verstoßes gegen Art. 83 DS-GVO sein?

 

Orientierungssatz

Orientierungssätze:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 83 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 83 Abs. 4-6 DS-GVO dahin auszulegen, dass es den Art. 101 und 102 AEUV zugeordneten funktionalen Unternehmensbegriff und das Funktionsträgerprinzip in das innerstaatliche Recht mit der Folge inkorporiert, dass unter Erweiterung des § 30 OWiG zugrundeliegenden Rechtsträgerprinzips ein Bußgeldverfahren unmittelbar gegen ein Unternehmen geführt werden kann und die Bebußung nicht der Feststellung einer durch eine natürliche und identifizierte Person, gegebenenfalls volldeliktisch, begangenen Ordnungswidrigkeit bedarf?

2. Wenn die Frage zu 1. bejaht werden sollte: Ist Art. 83 Abs. 4 - 6 DS-GVO dahin auszulegen, dass das Unternehmen den durch einen Mitarbeiter vermittelten Verstoß schuldhaft begangen haben muss (vgl. Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln), oder reicht für eine Bebußung des Unternehmens im Grundsatz bereits ein ihm zuzuordnender objektiver Pflichtenverstoß aus ("strict liability")?

 

Normenkette

AEUV Art. 26 Abs. 1, Art. 101-102, 267 Abs. 3, Art. 288; DSGVO Art. 83; BDSG § 41; OWiG §§ 9, 46, 130; StPO § 206a

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen (526 OWi LG) 212 Js-OWi 1/20 (1/20))

 

Tenor

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 83 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 83 Abs. 4-6 DS-GVO dahin auszulegen, dass es den Art. 101 und 102 AEUV zugeordneten funktionalen Unternehmensbegriff und das Funktionsträgerprinzip in das innerstaatliche Recht mit der Folge inkorporiert, dass unter Erweiterung des § 30 OWiG zugrundeliegenden Rechtsträgerprinzips ein Bußgeldverfahren unmittelbar gegen ein Unternehmen geführt werden kann und die Bebußung nicht der Feststellung einer durch eine natürliche und identifizierte Person, gegebenenfalls volldeliktisch, begangenen Ordnungswidrigkeit bedarf?

2. Wenn die Frage zu 1. bejaht werden sollte: Ist Art. 83 Abs. 4 - 6 DS-GVO dahin auszulegen, dass das Unternehmen den durch einen Mitarbeiter vermittelten Verstoß schuldhaft begangen haben muss (vgl. Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln), oder reicht für eine Bebußung des Unternehmens im Grundsatz bereits ein ihm zuzuordnender objektiver Pflichtenverstoß aus ("strict liability")?

II. Das Beschwerdeverfahren wird bis zur Beantwortung der Vorlagefragen durch den Gerichtshof der Europäischen Union ausgesetzt.

 

Gründe

I. Das betroffene Unternehmen ist ein börsennotiertes Immobilienunternehmen mit Sitz in Berlin. Es hält über gesellschaftsrechtliche Beteiligungen mittelbar rund 163.000 Wohneinheiten und 3.000 Gewerbeeinheiten. Eigentümer dieser Einheiten sind Tochtergesellschaften, sogenannte Besitzgesellschaften, die das operative Geschäft führen und die mit dem betroffenen Unternehmen einen Konzern bilden. Die Geschäftstätigkeit des betroffenen Unternehmens konzentriert sich auf die übergeordnete Leitung, wie die Geschäftsführung, das Personalwesen und das Finanz- und Rechnungswesen. Die Besitzgesellschaften vermieten die Wohn- und Gewerbeeinheiten, die Verwaltung der Einheiten erfolgt ebenfalls durch Konzerngesellschaften ("Servicegesellschaften").

Im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit verarbeiten das betroffene Unternehmen und die Konzerngesellschaften auch personenbezogene Daten von Mieterinnen und Mietern der Wohn- und Gewerbeeinheiten. Dies geschieht im Rahmen der Neuvermietung eines Objektes, der laufenden Verwaltung eines bestehenden Mietverhältnisses, dem Erwerb von bereits vermieteten Immobilien und der Übernahme der hier bestehenden Mietverhältnisse. Bei diesen Daten handelt es sich z. B. um Identitätsnachweise (z. B. Personalausweiskopien), Bonitätsbelege (z. B. Kontoauszüge), Gehaltsbescheinigungen, Arbeitsnachweise, Steuer-, Sozial- und Krankenversicherungsdaten sowie Angaben zu Vormietverhältnissen.

Am 23. Juni 2017 hat die Berliner Beauftragte für den Datenschutz (im Folgenden: "Behörde") im Rahmen einer Vor-Ort-Kontrolle das betroffene Unternehmen darauf hingewiesen, dass ihre Konzerngesells...

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