Leitsatz (amtlich)

1. Bei dem Überprüfungsverfahren nach § 166 Abs. 2 FamFG handelt es sich um eine nicht-förmliche Vorprüfung, ob ein förmliches Abänderungsverfahren nach §§ 166 Abs. 1 FamFG, 1696 BGB einzuleiten ist. Das Überprüfungsverfahren wird in der ursprünglichen Akte, in der die zu überprüfende Maßnahme verfügt wurde, geführt; hierfür ist weder ein neues gerichtliches Aktenzeichen zu vergeben noch stellt das die Einleitung eines neuen Verfahrens dar. Für das Überprüfungsverfahren kann keine Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden und es ergeht auch keine Kostenentscheidung. Hinsichtlich der Anwaltsgebühren gilt das Überprüfungs- (Vorprüfungs-) Verfahren nicht als neue Angelegenheit, sondern als Teil des Ursprungsverfahrens.

2. Wenn im Zuge der Überprüfung Abänderungsbedarf festgestellt wird, ist ein förmliches Abänderungsverfahren nach § 166 Abs. 1 FamFG, 1696 BGB einzuleiten und ein neues Verfahren, unter neuem Aktenzeichen und mit den üblichen verfahrensrechtlichen Gewährleistungen wie u.a. einer persönlichen Anhörung der Beteiligten und des Kindes zu führen.

3. Wenn das Familiengericht die Elemente von zwei unterschiedlichen Verfahren - einem von Amts wegen geführten Überprüfungsverfahren nach § 166 Abs. 2 FamFG und einem Abänderungsverfahren nach §§ 1696 BGB, 166 Abs. 1 FamFG - miteinander vermengt, führt das zu einem wesentlichen Verfahrensmangel, der auf Antrag zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht führen kann.

4. Der Regelwert für eine Kindschaftssachen kann entsprechend § 45 Abs. 3 FamGKG auf 2.000 EUR herabgesetzt werden, wenn keine Kindschaftssache aus dem "Katalog" des § 45 Abs. 1 FamGKG vorliegt, sondern eine Beschwerde in einem amtswegig geführten Überprüfungsverfahren nach § 166 Abs. 2 FamFG, das verfahrensfehlerhaft mit einem förmlichen, rechtsmittelfähigen Beschluss abgeschlossen wurde und zusätzlich der Aktenumfang (ca. 30 Seiten) gering ist, die wirtschaftlichen Verhältnisse der beteiligten Mutter sehr beengt sind und der anwaltliche Arbeitsaufwand außerordentlich überschaubar gewesen ist.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Pankow/Weißensee (Aktenzeichen 10 F 6709/22)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Mutter werden der am 7. März 2023 erlassene Beschluss des Amtsgerichts Pankow - 10 F 4081/22 - und das zugrundeliegende Verfahren aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über eventuelle außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000 EUR festgesetzt.

Der Mutter wird Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsverfolgung in zweiter Instanz gewährt und Rechtsanwalt ..., B., beigeordnet. Raten auf die gewährte Verfahrenskostenhilfe sind nicht zu entrichten.

 

Gründe

I. Die Mutter wendet sich gegen den im schriftlichen Verfahren erlassenen Beschluss des Familiengerichts, mit dem eine Kinderschutzmaßnahme - der Entzug der elterlichen Sorge - nach erfolgter Überprüfung aufrechterhalten wurde.

Die Mutter meint, auch wenn sie es bislang noch nicht geschafft habe, eine von ihr als notwendig erkannte Therapie zur Behandlung ihrer Angststörung und psychischen Belastungen aufzunehmen, habe sie sich dennoch stabilisiert und kooperiere insbesondere auch mit dem Jugendamt. Sie habe erkannt, dass es ihrer Tochter in der Pflegestelle gut gehe. Eine Änderung in den tatsächlichen Betreuungsverhältnisse werde von ihr nicht angestrebt, aber sie wünscht sich die elterliche Sorge, die ihr entzogen wurde, zurück, um sodann die Pflegeeltern, erforderlichenfalls aber auch dritte Personen, in sorgerechtlicher Hinsicht zu bevollmächtigen, damit die Pflegeeltern oder Dritte ihre Tochter in allen, das Kind betreffenden Belangen umfassend vertreten können. Sie trägt vor, dass von ihr keine Gefahren für das Wohl des Kindes mehr ausgingen.

Das Verfahren ist vor dem folgenden Hintergrund zu sehen: Die Mutter war zwischen 2015 und 2018 substanzabhängig. Während der Schwangerschaft konsumierte sie u.a. Heroin und Nikotin, was dazu führte, dass S. mit einem pränatalen Drogenentzugssyndrom geboren wurde und mehrere Wochen substituiert werden musste. Das Kind leidet seither an einem schweren fetalen Alkoholsyndrom und ist stark geschädigt. Es braucht umfassende - sozialtherapeutische und medizinische - Hilfen. U.a. leidet es an massiven Schlafstörungen, einer starken Neurodermitis mit ständigem Juckreiz sowie an diversen Allergien. Ein "normaler" Schulbesuch wird für S. nicht möglich sein. Das Kind wurde nach der Geburt in Obhut genommen und lebt inzwischen bei Pflegeeltern, die sich umfassend um S. kümmern. Das ursprünglich angedachte Vorgehen, dass S. in der Obhut der Mutter bleibt (bzw. nach erfolgter Inobhutnahme wieder in ihre Obhut zurückgegeben wird) und die Mutter bei der für sie geplanten Suchttherapie begleitet, ist an einer unzureichenden Mitarbeit der Mutter gescheitert. Da keinerlei Bindung des...

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