Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Gefährdung des Straßenverkehrs beim Befahren einer Einbahnstraße in entgegengesetzter Richtung

 

Leitsatz (amtlich)

›1. Das Befahren einer als Einbahnstraße geführten Nebenstraße in entgegengesetzter Richtung mit der Folge eines Beinahe-Zusammenstoßes mit einem entgegenkommenden Fahrzeug, das wider Erwarten nicht mehr ausweichen kann, kann nicht wegen Gefährdung des Straßenverkehrs durch grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Nichtbeachten der Vorfahrt bestraft werden; es liegt nur eine - der kurzen ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfolgungsverjährung unterliegende - Zuwiderhandlung gegen das Zeichen "Verbot der Einfahrt" vor.

2. Es ist insgesamt auf Freispruch zu erkennen, wenn der Angeklagte einer Straftat nicht überführt werden kann und der Ahndung der Tat als Ordnungswidrigkeit das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung entgegensteht.‹

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 20.10.2003)

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat die Angeklagte entsprechend dem Anklagevorwurf wegen Gefährdung des Straßenverkehrs durch grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Nichtbeachten der Vorfahrt zu einer Geldstrafe von fünfzig Tagessätzen zu je 15,00 Euro verurteilt. Das Landgericht hat die Berufung der Angeklagten verworfen. Ihre Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt, führt zum Erfolg.

Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Es hält der Nachprüfung auf die Sachrüge nicht stand. Die getroffenen Feststellungen erlauben nicht die Annahme der Straftat, derentwegen die Angeklagte verurteilt worden ist. Aus ihnen ergibt sich nur die Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG in Verbindung mit §§ 41 Abs. 2 Nr. 6 - Zeichen 267 -(Verbot der Einfahrt), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, die wegen eingetretener Verfolgungsverjährung nicht mehr geahndet werden kann. Da nicht damit zu rechnen ist, daß weitere tatsächliche Feststellungen getroffen werden können, die es ermöglichen die Angeklagte strafbaren Handelns zu überführen, fällt es dem Senat zu, in der Sache selbst zu entscheiden. Das führt wegen des überragenden Gewichts des Strafbarkeitsvorwurfs dazu, daß er die Angeklagte davon freispricht.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen befuhr die Angeklagte mit ihrem Pkw in Berlin-Köpenick von einer in eine Hauptstraße (Mahlsdorfer Straße) einmündenden Nebenstraße mit einer Spur je Fahrtrichtung (Eitelsdorfer Straße) deren letzten Abschnitt zu der Hauptstraße hin. Auf dem letzten Teil vor der Einmündung war auf der zu der Hauptstraße hinführenden Fahrbahnseite eine Baustelle angelegt. Ihretwegen war dort das Befahren der Nebenstraße aufgrund Anordnung des zuständigen Tiefbauamts nur auf einer Spur und in eine Richtung erlaubt, nämlich für den aus der Hauptstraße einfahrenden Verkehr. Für den Verkehr in Richtung Hauptstraße war vor der Baustelle gemäß behördlicher Anordnung das Verkehrszeichen 267 (Verbot der Einfahrt) aufgestellt, an der mit der letzten Querstraße davor gebildeten Kreuzung befand sich das Verkehrszeichen 357 (Sackgasse). Zur tatrelevanten Zeit, am späten Nachmittag des 27. November 2001, war das Zeichen 267 - ebenso das Zeichen 357 - gut erkennbar aufgestellt. Die Angeklagte, die die Baustelle kannte und wußte, daß die Durchfahrt zu der Hauptstraße grundsätzlich durch das Verkehrszeichen 267 gesperrt, das Befahren der Gegenrichtung indes erlaubt war, passierte das Verkehrszeichen, ohne darauf zu achten. Es war ihr insofern gleichgültig, als sie entschlossen war, ohnehin - unabhängig von seinem Vorhandensein - dort durchzufahren und sich so den sonst erforderlichen Umweg zu ersparen und schneller voranzukommen. In dem Engpaß kam ihr, aus der Hauptstraße mit angemessener Geschwindigkeit einbiegend, die Zeugin F........ auf ihrem Damenfahrrad mit eingeschalteter Beleuchtung entgegen. Gleichwohl setzte die Angeklagte ihre Fahrt zunächst unbeirrt fort. Sie erwartete, daß die Radfahrerin ausweichen würde. Da es dieser aber nicht mehr gelang, ohne ein auf dem welligen Straßenbelag - die Asphaltierung war provisorisch - gefährliches Ausweichmanöver seitlich an dem Pkw der Angeklagten vorbeizufahren, führten die Radfahrerin und die Angeklagte im letzten Moment eine Vollbremsung durch. Die Fahrzeuge kamen in einem Abstand von lediglich noch etwa einem halben Meter von einander zum Stehen.

2. Diese Feststellungen vermögen die Verurteilung der Angeklagten wegen Gefährdung des Straßenverkehrs durch grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Nichtbeachten der Vorfahrt (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 a) StGB) nicht zu tragen. Es hat danach eine Verkehrssituation bestanden, die nach dem erkennbaren und zu respektierenden Verständnis des Gesetzgebers von der Reichweite der von ihm aufgestellten Normen der Bestrafung als Vorfahrtverletzung nach der genannten Strafbestimmung nicht zugänglich ist. Allerdings ist der Begriff der Vorfahrt in § 315c Abs. 1 Nr. 2 a) StGB (vgl. zum Folgenden KG VRS 46, 192; König in Leipziger Kommentar, StGB 11. Aufl., § 315...

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