Normenkette

StGB § 55 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 21.01.2008; Aktenzeichen (571/580) 35 Ns 126 PLs 2990/05 (18/07))

 

Tenor

1. Die Revision des Angeklagten Z----- gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Januar 2008 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

2. Auf die Revision des Angeklagten S------ wird das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Berlin im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten mit der Maßgabe aufgehoben, daß eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.

Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verurteilte am 9. November 2006 den Angeklagten Z----- wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten. Den Angeklagten S------ verurteilte es wegen Körperverletzung (Tatzeit: 26. Mai 2006, Einzelfreiheitsstrafe sechs Monate) und gefährlicher Körperverletzung (Tatzeit: 7. Juni 2005, Einzelfreiheitsstrafe neun Monate) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr. Auf den Adhäsionsantrag des Nebenklägers wurden die Angeklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 2.000 Euro nebst Zinsen an diesen verurteilt.

Das Landgericht Berlin verwarf mit Urteil vom 21. Januar 2008 deren unbeschränkte Berufungen, beim Angeklagten S------ mit der Maßgabe, daß er unter Auflösung der Gesamtgeldstrafe aus dem Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 8. Januar 2007 - 236 Cs 54/06 - und Einbeziehung der Geldstrafe aus der Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten vom 24. April 2006 - 236 Cs 54/06 - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten sowie zu einer weiteren Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wird. Die bereits vollstreckten Verurteilungen vom 16. März 2006 und 16. Juni 2006 bezog das Gericht nicht ein.

I.

1. Die Revision des Angeklagten Z------ ist gemäß § 349 Abs. 2 StPO offensichtlich unbegründet.

2. Die Revision des Angeklagten S----- führt aufgrund der Sachrüge gemäß § 349 Abs. 4 StPO zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruches von zehn Monaten, im übrigen ist sie ebenfalls offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

II.

Der Gesamtstrafenausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten kann keinen Bestand haben. Denn das Landgericht hätte aus den Strafen aller drei Erkenntnisse des Amtsgerichts Tiergarten vom 16. März, 24. April und 6. Juni 2006 unter Auflösung der bereits gebildeten Gesamtstrafen nachträglich mit der Strafe für die gefährliche Körperverletzung eine Gesamtstrafe bilden müssen. Die Strafe für die am 26. Mai 2006 verübte vorsätzliche Körperverletzung hatte (insoweit zutreffend) daneben bestehen zu bleiben; sie ist damit rechtskräftig und vollstreckbar.

1. a) Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB hat der Tatrichter nachträglich über eine Gesamtstrafenbildung zu entscheiden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Entgegen der Ansicht der Revision stand der nachträglichen Gesamtstrafenbildung durch das Berufungsgericht nicht das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO entgegen, da das Amtsgericht ausweislich seiner Urteilsgründe in Unkenntnis der Vorverurteilungen keine bewußte Entscheidung über die Anwendbarkeit des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB getroffen hat (vgl. BGHSt 35, 208, 212; BayObLG JR 1980, 378, 379; OLG Düsseldorf StV 1993, 31; Rissing-van Saan in Leipziger Kommentar, StGB 12. Aufl., § 55 Rdn. 45; von Heintschel-Heinegg in Münchener Kommentar, StGB, § 55 Rdn. 40; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl., § 55 Rdn. 42; Fischer, StGB 55. Aufl., § 55 Rdn. 20; vgl. auch OLG Hamm NStZ-RR 2008, 235).

Dabei kommt bei mehreren Vorverurteilungen und mehreren zeitlich auseinander liegenden Taten der ersten Vorverurteilung eine Zäsurwirkung zu. Maßgeblich ist gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB derjenige Tag als Zäsur, an dem das Gericht die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals hat prüfen können. Dies war vorliegend der 16. März 2006, an dem das Amtsgericht Tiergarten in der Sache 315 Ds 188/05 den Strafbefehl erließ. Alle vor diesem Tag liegenden Taten, deren Strafen am letzten Tag der letzten tatrichterlichen Entscheidung in dieser Sache noch unerledigt sind, sind grundsätzlich einer Gesamtstrafenbildung zugänglich (vgl. Fischer, § 55 StGB Rdn. 9).

Dieser Grundsatz gilt auch, wenn die Vorverurteilungen und nur eine der Taten aus dem vorliegenden Verfahren untereinander gesamtstrafenfähig sind und auch, wenn lediglich eine der Strafen aus den Vorverurteilungen noch unerledigt ist, da der Angeklagte durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung weder besser noch schlechter gestellt werden soll als bei einer direkten Anwendung ...

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