Entscheidungsstichwort (Thema)

Übertragung der elterlichen Sorge für ein nichteheliches Kind bei fehlender Sorgeerklärung

 

Leitsatz (amtlich)

§ 1672 Abs. 1 BGB, der die Übertragung der elterlichen Sorge für ein nichteheliches Kind bei fehlender Sorgeerklärung von der Zustimmung der Mutter abhängig macht, verstößt gegen Art. 6 Abs. 2 und 5, Art. 3 Abs. 1 GG. Zu dieser Frage wird eine Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG eingeholt.

 

Normenkette

BGB § 1672 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2, 5, Art. 100 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Pankow/Weißensee (Aktenzeichen 17 F 7120/08)

 

Tenor

Das Verfahren wird gem. Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und eine Entscheidung des BVerfG zur Frage eingeholt, ob § 1672 Abs. 1 BGB mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

 

Gründe

A. Der am 28.6.2006 geborene S ist das nichteheliche Kind der Eltern, die keine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben haben. Die Eltern - die Mutter ist Thailänderin und lebt seit 1992 in Deutschland - lebten seit 2002 zusammen, wobei sie zwischen den beiden gemeinsamen Wohnungen in B. und in D. - dort wurde im Jahr 2008 ein Haus bezogen - im Zweiwochenrhythmus pendelten. Im Jahr 2008 trennten sie sich. Ursache waren insb. Streitigkeiten über die Erziehung und das Freizeitverhalten sowie den Lebensschwerpunkt einschließlich des Kindergartenbesuchs Ss in Berlin - Wunsch der Mutter - oder D. - Wunsch des Vaters. Die Mutter verließ am 16.12.2008 mit S das Haus in D. und erklärte dem Vater, sie werde nicht mehr dorthin zurückkehren. Sie blieb mit S in B.

Der Vater stellte am 22.12.2008 einen Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge, wobei er unzutreffend angab, die Eltern hätten eine gemeinsame Sorgeerklärung vor dem Jugendamt abgegeben. Den Antrag begründete er u.a. mit Streitigkeiten über den Lebensmittelpunkt, den Kindergartenbesuch ab 2009, das Stillverhalten, Nikotin- und Alkoholkonsum (der Mutter), (Art und Dauer des) Medienkonsum (der Mutter mit S).

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens und Verfahrens - insb. des Verlaufs der Umgangstermine - wird auf den angefochtenen Beschluss des AG vom 27.10.2009, insb. auf Nummer I. der Gründe (Bl. I/144 ff.) ergänzend verwiesen.

Das AG hat der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht nach §§ 1666, 1666a BGB entzogen und dem Vater nach § 1680 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 und 2 BGB übertragen. Es hat sich dabei auf das psychologische Gutachten der Sachverständigen W. vom 29.7.2009 (Bl. I/55 ff.) und ihre Ergänzung im Termin am 30.9.2009 (Bl. I/127) gestützt, wonach der Vater die Hauptbezugsperson von S sei und es der Mutter aufgrund ihrer Haltung prognostisch nicht gelingen werde, den in diesem Fall besonders wichtigen Kontakt zum Vater zu gewährleisten, was eine Kindeswohlgefährdung darstelle.

Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass S zum Vater - wie die Sachverständige und die Verfahrenspflegerin L. überzeugend begründet hätten - die vorrangige Bindung habe und die Mutter nicht in der Lage sei, die Wichtigkeit der Vaterbeziehung für S anzuerkennen und sich insoweit nicht in ihren Sohn hineinversetzen könne. Es sei zu erwarten, dass die Mutter auch langfristig den Umgang zum Vater nicht unterstützen werde und S die Zerrissenheit eines Loyalitätskonflikts langfristig erleiden müsse und damit die erhebliche Gefahr bestehe, dass sein Vertrauen in den Bestand von Bindungen beschädigt werde und er später selbst Beziehungen nur unter Vorbehalt eingehen möge. Ss Vaterbild und seine späteren Identifikationsmöglichkeiten würden erheblich darunter leiden, wenn er seinen Vater als hilflos darin erlebe, den eigenen Willen und den Willen des Kindes zu verteidigen.

Die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der §§ 1666, 1666a BGB müsse bei verfassungskonformer Auslegung unter Abwägung der Rechte des Kindes gegen die in Art. 6 Abs. 2 GG geschützten Rechte beider Eltern zur Anwendung des Maßstabes des § 1671 Abs. 2 S. 2 BGB führen.

Gerichtliche Gebote seien nicht geeignet, für S die Trennung von seinem Vater als wichtigster Bezugsperson - bei der er leben wolle - zu kompensieren. Ein ernsthafter Erkenntnisprozess zur Bindungstoleranz sei bei der Mutter in den 9 Monaten des Verfahrens nicht feststellbar gewesen.

Ein über die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts hinausgehender Eingriff in das Sorgerecht der Mutter sei nicht erforderlich. Ihr sei die Chance zu geben, bei den notwendigen Entscheidungen mitzuwirken. Etwa erforderliche gerichtliche Entscheidungen seien kaum mit einer Gefährdung des Kindeswohls verbunden.

Das AG hat ferner das Umgangsrecht der Mutter u.a. dahin geregelt, dass S von Donnerstagnachmittag jeder ungeraden Kalenderwoche bis zum folgenden Montagmittag bei ihr ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf den angefochtenen Beschluss (Bl. I/144 ff.).

Seit November 2009 wohnt S beim Vater.

Gegen die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und Übertragung auf den Vater wendet sich die Mutter mit ihrer zulässigen Beschwerde. Sie führt insb. aus, dass sie den Umgang von...

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