Leitsatz (amtlich)

1. Bei Schadensersatzklagen aus Anlass des sog. Abgas-Skandals ist ein Gerichtsstand nach § 32 ZPO, auch wenn die Klage nur gegen den Hersteller gerichtet ist, sowohl an dessen Sitz (Handlungsort) als auch am Sitz des Händlers, sofern der Kaufvertrag dort geschlossen worden ist (Erfolgsort), sowie schließlich am Wohnort des Käufers als weiterem Erfolgsort begründet, sofern dort der Schaden eingetreten ist.

2. Es ist Sache des verweisenden Gerichts, das für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständige Gericht auf der Grundlage des Klagevorbringens zu bestimmen. Ein Verweisungsbeschluss nach § 281 ZPO, der die Zuständigkeit des Gerichts, an das der Rechtsstreit verwiesen wird, gleichwohl ausdrücklich offen lässt, ist bereits aus diesem Grund objektiv willkürlich und damit nicht bindend.

 

Normenkette

ZPO §§ 32, 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 66 O 5/19)

LG Neuruppin (Aktenzeichen 1 O 312/19)

 

Tenor

Das Landgericht Berlin wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte, eine Herstellerin von Personenkraftwagen mit Sitz in Wolfsburg, im Zusammenhang mit dem Kauf eines gebrauchten Kraftfahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch. Der in Berlin wohnhafte Kläger erwarb mit einer verbindlichen Bestellung vom 13. Juli 2014 (Anlage K 1) bei der Berliner Niederlassung eines Tochterunternehmens der Beklagten einen Gebrauchtwagen, in dem ein von der Beklagten entwickelter Dieselmotor verbaut war. Zur Finanzierung des Kaufpreises in Höhe von 25.920,00 Euro schloss der Kläger einen Darlehensvertrag mit einem zum Konzern der Beklagten gehörenden Kreditinstitut. Mit seiner auf den Vorwurf des Betrugs sowie der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gestützten Klage wegen des Einsatzes einer manipulierten Abgasreinigungssoftware verlangt der Kläger von der Beklagten die Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises bzw. Freistellung von der eingegangenen Darlehensverpflichtung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des verkauften Fahrzeugs.

Das zunächst mit der Sache befasste Landgericht Berlin hat im Laufe des Verfahrens mehrfach auf Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit hingewiesen. Insbesondere sei nicht ersichtlich, wegen welcher konkreten Tatsachen in Berlin befindliches Vermögen des Klägers geschädigt worden sein solle. Mit einer Verfügung vom 14. März 2019 hat das Gericht dem Kläger deshalb aufgegeben, zu Inhalt, Zusammensetzung und Standort seines Vermögens vorzutragen. Der Kläger hat hierzu mit einem Schriftsatz vom 8. April 2019 mitgeteilt, dass sein Vermögen im Wesentlichen aus einem Bankguthaben bei der Mittelbrandenburgischen Sparkasse bestehe und sich die kontoführende Filiale in Birkenwerder befinde. Gleichwohl sei das Landgericht Berlin bereits deswegen nach § 32 ZPO örtlich zuständig, weil der Kaufvertrag in Berlin geschlossen worden sei. Lediglich höchst hilfsweise für den Fall, dass das Gericht das Vermögen des Klägers (Bankguthaben) als in der kontoführenden Filiale in Birkenwerde belegen ansehe, was aber nicht richtig sei, werde eine Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Neuruppin beantragt. Nach einem weiteren Hinweis des Gerichts, dass es nach wie vor an ausreichendem Vortrag zur örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Berlin fehle, hat der Kläger an seinem hilfsweise gestellten Verweisungsantrag festgehalten.

Mit einem Beschluss vom 7. November 2019 hat sich das Landgericht Berlin schließlich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Neuruppin verwiesen. Seine örtliche Zuständigkeit sei nicht nach § 32 ZPO begründet. Da die Beklagte nicht Partei des Kaufvertrages sei, könne nicht auf dessen Abschluss abgestellt werden, ohne dass substantiiert zum entsprechenden Kenntnishorizont und Vorsatz des konkret gegenüber dem Kläger tätig gewordenen Verkäufers vorgetragen werde. Ein deliktischer Erfolgsort in Berlin sei auch nicht allein deswegen anzunehmen, weil der Kläger in Berlin seinen Wohnsitz habe. Ob und unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt das Landgericht Neuruppin tatsächlich zuständig sei, müsse im Hinblick auf den vom Kläger gestellten Verweisungsantrag nicht entschieden werden.

Das Landgericht Neuruppin hat die Übernahme des Rechtsstreits mit einem Beschluss vom 7. Januar 2020 abgelehnt und die Akten an das Landgericht Berlin zurückgesandt, weil die ausgesprochene Verweisung objektiv willkürlich und damit nicht bindend sei. Hierauf hat der Kläger mit mehreren an das Kammergericht gerichteten Schriftsätzen beantragt, das zuständige Gericht zu bestimmen.

II. 1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, weil das zuerst mit dem Rechtsstreit befasste Landgericht Berlin zu seinem Bezirk gehört und aufgrund der Beteiligung eines Landgerichts aus einem anderen Oberlandesgerichtsbezirk an dem Zuständigkeitsstreit das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof wäre.

2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zustä...

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