Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegfall der internationalen Zuständigkeit bei Übersiedlung in das Nicht-EU-Ausland

 

Leitsatz (amtlich)

Zieht der hauptsächlich betreuende Elternteil mit dem Kind vom Inland in einen Nicht-EU-Staat, ohne dass ein widerrechtliches Verbringen des Kindes in das Ausland vorliegt, ist von einem sofortigen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes auszugehen, der im laufenden Verfahren die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte entfallen lässt.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Pankow/Weißensee (Aktenzeichen 202 F 7267/22)

 

Tenor

Die Beschwerde des Vaters gegen den am 11. April 2023 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts Pankow - 202 F 7267/22 - wird auf seine Kosten nach einem Beschwerdewert von 4.000 EUR als unzulässig verworfen.

 

Gründe

I. Der Vater, ein in London lebender österreichischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den am 11. April 2023 erlassenen Beschluss des Familiengerichts, mit dem der Mutter - einer französischen Staatsangehörigen, die zu diesem Zeitpunkt mit den beiden Mädchen, die aus der mittlerweile geschiedenen Ehe der Eltern hervorgegangen sind und die beide die österreichische Staatsangehörigkeit besitzen, in B. wohnte - die Befugnis übertragen wurde, allein über einen Umzug der gemeinsamen Kinder von B. nach London/Vereinigtes Königreich sowie über die Anmeldung der beiden Mädchen in einer Londoner Schule zu entscheiden.

Zur Begründung, weshalb die Entscheidungsbefugnis über den Umzug nach London und die dortige Beschulung der Mutter allein zu übertragen sei, verweist das Familiengericht darauf, dass die Mutter die Hauptbezugsperson der beiden Mädchen sei. Ihr Lebensmittelpunkt befände sich, seitdem die Eltern sich im Juli 2018 getrennt hätten, bei der Mutter. Mit der Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis über den Umzug an einen bestimmten, namentlich genannten Ort werde der Mutter nicht ermöglicht, mit den Kindern an jeden beliebigen Ort der Welt umzuziehen, sondern allein nach London. Das diene dem Wohl der beiden Kinder, weil der Vater bereits seit etwa Frühjahr 2021 dauerhaft in London lebe. Die Übersiedlung führe zu einer deutlichen Erleichterung des Umgangs zwischen ihm und den Töchtern und der zu diesem Zweck in B. bei einer professionellen Umgangsbegleiterin regelmäßig geführten Elterngespräche, zu denen der Vater jeweils aus London angereist sei. Die räumliche Nähe zwischen den Kindern und ihrem Vater eröffne auch neue Perspektiven, um den Umgang mit dem Vater, den die beiden Mädchen stark ablehnten und der trotz der von beiden Eltern initiierten Umgangsbegleitung bzw. -anbahnung seit etwa März 2022 praktisch zum Erliegen gekommen sei, wiederaufzunehmen, zumal die Mutter bereits den Kontakt zu einer Londoner Familientherapeutin und Umgangsbegleiterin gesucht habe. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Kinder altersbedingt noch nicht in B. verwurzelt seien und sie durch einen Umzug kaum von ihren sozialen Kontakten abgeschnitten würden.

Mit seiner Beschwerde macht der Vater geltend, dass der Aufenthalt der Kinder im Vereinigten Königreich nicht gesichert sei; zudem verfüge die Mutter nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel, um sich ein Leben in der City von London leisten zu können. Die positive Entwicklung bei der Wiederanbahnung des Umgangs, die im Zuge der Umgangsbegleitung und der geführten Gespräche bereits erreicht worden sei, werde gefährdet bzw. zunichtegemacht. Mutter und Kinder sollten ihren Lebensmittelpunkt deshalb weiter in B. haben. Die Entscheidungsbefugnis über Umzug und Beschulung der Kinder sei der Mutter nicht zu übertragen. Der Vater bestreitet, dass Mutter und Kinder nach Erlass der familiengerichtlichen Entscheidung nach London übergesiedelt seien. Durch ihr Verhalten entziehe sie sich der inländischen Gerichtsbarkeit und das sei rechtsmissbräuchlich.

Die Mutter verteidigt die ergangene Entscheidung als zutreffend und richtig. Sie trägt vor, nach Erlass der familiengerichtlichen Entscheidung ihren Haushalt in B. aufgelöst und mit den beiden Mädchen nach London umgezogen zu sein. Bereits im März 2023 habe sie beim Londoner Central Family Court einen Antrag nach dem Matrimonial and Family Proceedings Act angebracht, in England und Wales Rechtsschutz mit dem Ziel einer finanziellen Unterstützung nach einer außerhalb des Vereinigten Königreichs erfolgten Ehescheidung suchen zu dürfen ("application for permission to apply for financial relief after an overseas divorce"). Nachdem der zuständige Familienrichter in einer Anhörung vom .... April 2023 ihr Gesuch befürwortet habe, sei die Sache an den High Court of Justice in London verwiesen worden. Der High Court of Justice habe bereits am .... Juli 2023 eine einstweilige Anordnung erlassen und Mutter und Kindern einen vorläufigen Unterhaltsbetrag von 15.000 £/Monat zugesprochen und weiter verfügt, dass der Vater vorläufig die Schulkosten der Kinder in Höhe von 120.000 £ zu tragen habe und von ihm ein Betrag von 65.000 £ auf die Anwaltskosten der Mutter zu leisten sei.

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