Entscheidungsstichwort (Thema)

Gehörsverletzung bei unterlassener Übersendung der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft

 

Orientierungssatz

Orientierungssätze:

1. Im Zulassungsverfahren nach § 80 OWiG ist die Übersendung der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft an den Betroffenen grundsätzlich nicht vorgesehen.

2. Im Verfahren nach § 356a StPO ist der Antrag innerhalb der Frist von einer Woche nach Bekanntwerden des behaupteten Gehörsverstoßes gegenüber dem Betroffenen zu stellen, da dessen Kenntnis maßgeblich ist und nicht diejenige des Verteidigers.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; OWiG § 79 Abs. 3 S. 1, § 80; StPO §§ 356a, 349 Abs. 3

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Entscheidung vom 06.02.2023; Aktenzeichen 3 ORbs 19/23)

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 14.11.2022; Aktenzeichen 290 OWi 946/22)

 

Tenor

Die gegen den Senatsbeschluss vom 6. Februar 2023 gerichtete Anhörungsrüge der Betroffenen vom 22. Februar 2023 wird verworfen.

Die zugleich erhobene Gegenvorstellung wird zurückgewiesen.

Die Betroffene hat die Kosten ihrer Anhörungsrüge zu tragen.

 

Gründe

I.

Der Senat hat mit Beschluss vom 6. Februar 2023 den Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. November 2022 verworfen. Hiergegen richten sich die Anhörungsrüge und die zugleich erhobene Gegenvorstellung der Betroffenen. Sie macht geltend, die Gegenerklärung der Generalstaatsanwaltschaft nicht zur Kenntnis erhalten zu haben und beantragt, das Verfahren in den Stand vor Erlass der Entscheidung des Senats zu versetzen (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 356a StPO).

II.

1. Die Anhörungsrüge ist bereits unzulässig, aber auch unbegründet.

a) Der nach § 356a Satz 1 StPO erforderliche Antrag der Betroffenen ist am 22. Februar 2023 beim Kammergericht eingegangen. Der Verteidiger hat es aber entgegen § 356a Satz 3 StPO versäumt, darzulegen und glaubhaft zu machen, dass der Antrag innerhalb der Frist von einer Woche nach Bekanntwerden des behaupteten Gehörsverstoßes gegenüber der Betroffenen - und nur deren Kenntnis ist maßgeblich, weil ihr Anspruch auf rechtliches Gehör durch den Senat und nicht der des Verteidigers verletzt worden sein soll - gestellt worden ist.

Daher ist der mitgeteilte Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Verteidigers von der Senatsentscheidung unerheblich. Der Betroffenen ist die angegriffene Senatsentscheidung bereits durch die Geschäftsstelle des Senates (Abvermerk der Geschäftsstelle: 9. Februar 2023) per Post übersandt worden. Unter Berücksichtigung der üblichen Postlaufzeit innerhalb Berlins ist es keinesfalls ausgeschlossen, dass die Betroffene vor dem 15. Februar 2023 Kenntnis von der Entscheidung hatte. Daher war die Darlegung und Glaubhaftmachung der Kenntnisnahme der Betroffenen auch nicht ausnahmsweise entbehrlich.

b) Demnach ist der Antrag bereits unzulässig; er ist auch unbegründet.

Denn die Entscheidung des Senats beruht nicht auf der unterbliebenen Übersendung der Gegenerklärung der Generalstaatsanwaltschaft. Die Betroffene hat nicht dargetan, dass dadurch ihr Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist. Der Senat hat insbesondere bei der Entscheidung kein zu berücksichtigendes Vorbringen übergangen, sondern hat die Ausführungen des Verteidigers der Betroffenen zur Kenntnis genommen und eine andere rechtliche Bewertung getroffen. Darin kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs aber nicht liegen.

Soweit der Verteidiger der Betroffenen bemängelt, ihm sei die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft nicht übersandt worden, sieht der Senat keinen Anlass, von seiner Rechtsauffassung (vgl. auch Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 3 Ws (B) 301/17 -), die Stellungnahmen der Generalstaatsanwaltschaft in vergleichbaren Fällen nicht zu übersenden, abzuweichen. Im Rechtsmittelverfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz bestehen eindeutige und klare gesetzliche Regelungen, in welchen Fällen die Übersendung der Stellungnahmen der Generalstaatsanwaltschaft zu erfolgen hat und damit liegt eine positiv gesetzliche Regelung zum Umfang des rechtlichen Gehörs des Betroffenen vor.

So ergibt sich die Verpflichtung zur Übersendung der Stellungnahmen der Generalstaatsanwaltschaft zwar nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG über § 349 Abs. 3 StPO für das Rechtsbeschwerdeverfahren. Diese Vorschrift ist aber auf das Zulassungsverfahren nach § 80 OWiG nicht anwendbar (vgl. OLG Düsseldorf VRS 39, 397; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 80 Rn. 40; Hadamitzky in KK-OWiG 5. Aufl., § 80 Rn. 56 m.w.N.) Vielmehr verweist § 80 Abs. 4 OWiG nur auf §§ 346 bis 348 StPO, nicht aber auf § 349 StPO. Diese Gesetzeslage spiegelt den Willen des Gesetzgebers wieder, der die Überprüfbarkeit von gerichtlichen Entscheidungen in minderschweren Ordnungswidrigkeiten bewusst eingeschränkt hat und zwar auch hinsichtlich des Verfahrensganges, wozu die Nichtübersendung der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft und damit die gesetzlich normierte Verkürzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Massen...

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