Rz. 76

Einschränkungen der Bewilligungsmacht sind für den Grundbuchvollzug vorbehaltlich eines gutgläubigen Erwerbs gem. § 892 Abs. 1 S. 2 BGB immer dann beachtlich, wenn sie dem GBA bis zur Vollendung der Eintragung nachgewiesen werden (vgl. § 29 Abs. 1 S. 1 GBO) oder offenkundig sind (siehe § 29 Abs. 1 S. 2 GBO), wobei § 1117 Abs. 2 BGB i.V.m. § 60 Abs. 2 und §§ 878, 892 Abs. 2 BGB wichtige Vorverlegungen der maßgeblichen Zeitpunkte anordnen:

§ 1117 Abs. 2 BGB: Bei Bestellung und Übertragung von Briefrechten erwirbt der Gläubiger das Briefrecht bereits vor der Briefübergabe, wenn eine Vereinbarung besteht, wonach er berechtigt ist, sich den Brief vom GBA aushändigen zu lassen.[195]
§ 878 BGB: Die Verfügungs- und Bewilligungsberechtigung des Betroffenen wird aufrechterhalten, wenn vor Entstehung der Verfügungsbeschränkung die Einigung bindend und (vom Begünstigten) ein im Übrigen vollzugsfähiger Eintragungsantrag beim GBA gestellt worden ist.
§ 892 Abs. 2 Hs. 1 BGB: Der für den Gutglaubensschutz maßgebliche Zeitpunkt der Kenntnis des Erwerbers wird auf den Zeitpunkt der Antragstellung vorverlegt, wenn die nach § 873 BGB erforderliche Einigung bereits rechtswirksam besteht.
[195] Grüneberg/Herrler, § 1117 Rn 3; zur Bedeutung im Insolvenzrecht siehe Eickmann, Rpfleger 1972, 80.

1. Bedeutung des § 878 BGB im Grundbuchverfahren

 

Rz. 77

§ 878 BGB ist eine materiell-rechtliche Vorschrift, die für das Grundbuchverfahrensrecht analog gilt. Sie erhält in ihrem Geltungsbereich[196] auch die Bewilligungsberechtigung des Betroffenen bis zur Vollendung des Rechtserwerbs aufrecht, wenn vor Entstehung der Verfügungseinschränkung

die Einigung nach § 873 Abs. 2 BGB bzw. die einseitige Erklärung nach § 875 Abs. 2 BGB bindend geworden ist und
der Eintragungsantrag beim GBA gestellt wurde (§ 13 Abs. 1 S. 2 GBO) und vollziehbar ist.[197]
 

Rz. 78

Die Reihenfolge beider Voraussetzungen ist gleichgültig.[198] Sie müssen nur beide vor Entstehung der Verfügungseinschränkung erfüllt sein, bis zur Grundbucheintragung bestehen bleiben und zur Grundbucheintragung führen. § 878 BGB soll den Verfügungsempfänger (nur) gegen die Gefahr schützen, dass der zur Verfügung zunächst noch Berechtigte in dieser Befugnis während des in seiner Dauer wenig beeinflussbaren Eintragungsverfahrens unmittelbar durch das Gesetz oder aufgrund behördlicher oder gerichtlicher Anordnung beschränkt wird.[199]

 

Rz. 79

Dem GBA sind beide Voraussetzungen nachzuweisen, also sowohl die Tatsachen an sich als auch der Zeitpunkt ihres Eintritts, um diesen mit dem Zeitpunkt der Entstehung der Verfügungseinschränkung vergleichen zu können; dazu muss das GBA dem Begünstigten notfalls durch Zwischenverfügung Gelegenheit geben. In der Praxis ist zu beachten, dass die Bindung an die materielle Einigung in der Regel formlos erfolgt und dem GBA wegen § 19 GBO normalerweise nicht nachgewiesen werden muss. Etwaige Beweisschwierigkeiten[200] können im Grundbuchverfahren nur durch die in der Rechtslehre entwickelten Beweisregeln vermieden werden (siehe § 2 Einl. Rdn 8 ff.), im Übrigen durch Anwendung von Erfahrungssätzen.

[196] MüKo-BGB/Lettmaier, § 878 Rn 11 ff.
[197] Vgl. OLG Karlsruhe FGPrax 2022, 243.
[198] Staudinger/Gursky, § 878 Rn 53.
[199] BGH DNotZ 1989, 160.
[200] Siehe dazu: Rahn, BWNotZ 1967, 269; Rahn, NJW 1959, 97.

a)1. Voraussetzung

 

Rz. 80

Die materiell-rechtliche Bindung tritt ein[201] durch:

§ 873 Abs. 2 BGB (Fall 1): Beurkundung der Einigung beider Vertragsteile, die dem GBA durch Vorlage der Urkunde nachgewiesen werden kann; Beglaubigung der Einigung oder Beurkundung der Einigungserklärung des einen Teils ohne Mitwirkung des anderen, z.B. der einseitigen Grundschuldbestellung, reicht dazu nicht;
§ 873 Abs. 2 BGB (Fall 2): Abgabe der Einigung vor dem GBA (jetzt praktisch bedeutungslos);
§ 873 Abs. 2 BGB (Fall 3): Einreichung der Einigung beider Vertragsteile in beglaubigter oder privatschriftlicher Form beim GBA, nachweisbar dadurch, dass der Begünstigte selbst oder durch den Notar seinen Antrag (aus dem sich im Auslegungswege "sein Teil" der Einigung ermitteln lässt) und die mit ihm übereinstimmende wirksame Bewilligung des Betroffenen beim GBA einreicht;
§ 873 Abs. 2 BGB (Fall 4): Aushändigung der Bewilligung (§ 19 GBO) an den Begünstigten in Urschrift oder Ausfertigung; eine beglaubigte Abschrift reicht nicht, auch die Vorlage der Bewilligung "am Begünstigten vorbei" an das GBA für sich allein macht nicht bindend. Der Zeitpunkt dieser Bindung ist aus dem Datum der vom Notar dem Begünstigten erteilten Ausfertigung ersichtlich. Bei Bewilligung in Beglaubigungsform kann der Notar mit Unterschrift und Dienstsiegel bestätigen, ob und wann er die Bewilligung aufgrund einer Vollmacht für den Begünstigten in Empfang genommen hat. Wurde dem Begünstigten die Bewilligung vom Betroffenen selbst ausgehändigt, hat er zur Herstellung der Bindung die Urschrift oder Ausfertigung zusammen mit seinem Antrag dem GBA einzureichen;
§ 875 Abs. 2 BGB (Fall 1): Vorlage der einseitigen Erklärung beim GBA, was i.d.R. durch Grundbuchvorlage der for...

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