Rz. 77

§ 878 BGB ist eine materiell-rechtliche Vorschrift, die für das Grundbuchverfahrensrecht analog gilt. Sie erhält in ihrem Geltungsbereich[196] auch die Bewilligungsberechtigung des Betroffenen bis zur Vollendung des Rechtserwerbs aufrecht, wenn vor Entstehung der Verfügungseinschränkung

die Einigung nach § 873 Abs. 2 BGB bzw. die einseitige Erklärung nach § 875 Abs. 2 BGB bindend geworden ist und
der Eintragungsantrag beim GBA gestellt wurde (§ 13 Abs. 1 S. 2 GBO) und vollziehbar ist.[197]
 

Rz. 78

Die Reihenfolge beider Voraussetzungen ist gleichgültig.[198] Sie müssen nur beide vor Entstehung der Verfügungseinschränkung erfüllt sein, bis zur Grundbucheintragung bestehen bleiben und zur Grundbucheintragung führen. § 878 BGB soll den Verfügungsempfänger (nur) gegen die Gefahr schützen, dass der zur Verfügung zunächst noch Berechtigte in dieser Befugnis während des in seiner Dauer wenig beeinflussbaren Eintragungsverfahrens unmittelbar durch das Gesetz oder aufgrund behördlicher oder gerichtlicher Anordnung beschränkt wird.[199]

 

Rz. 79

Dem GBA sind beide Voraussetzungen nachzuweisen, also sowohl die Tatsachen an sich als auch der Zeitpunkt ihres Eintritts, um diesen mit dem Zeitpunkt der Entstehung der Verfügungseinschränkung vergleichen zu können; dazu muss das GBA dem Begünstigten notfalls durch Zwischenverfügung Gelegenheit geben. In der Praxis ist zu beachten, dass die Bindung an die materielle Einigung in der Regel formlos erfolgt und dem GBA wegen § 19 GBO normalerweise nicht nachgewiesen werden muss. Etwaige Beweisschwierigkeiten[200] können im Grundbuchverfahren nur durch die in der Rechtslehre entwickelten Beweisregeln vermieden werden (siehe § 2 Einl. Rdn 8 ff.), im Übrigen durch Anwendung von Erfahrungssätzen.

[196] MüKo-BGB/Lettmaier, § 878 Rn 11 ff.
[197] Vgl. OLG Karlsruhe FGPrax 2022, 243.
[198] Staudinger/Gursky, § 878 Rn 53.
[199] BGH DNotZ 1989, 160.
[200] Siehe dazu: Rahn, BWNotZ 1967, 269; Rahn, NJW 1959, 97.

a)1. Voraussetzung

 

Rz. 80

Die materiell-rechtliche Bindung tritt ein[201] durch:

§ 873 Abs. 2 BGB (Fall 1): Beurkundung der Einigung beider Vertragsteile, die dem GBA durch Vorlage der Urkunde nachgewiesen werden kann; Beglaubigung der Einigung oder Beurkundung der Einigungserklärung des einen Teils ohne Mitwirkung des anderen, z.B. der einseitigen Grundschuldbestellung, reicht dazu nicht;
§ 873 Abs. 2 BGB (Fall 2): Abgabe der Einigung vor dem GBA (jetzt praktisch bedeutungslos);
§ 873 Abs. 2 BGB (Fall 3): Einreichung der Einigung beider Vertragsteile in beglaubigter oder privatschriftlicher Form beim GBA, nachweisbar dadurch, dass der Begünstigte selbst oder durch den Notar seinen Antrag (aus dem sich im Auslegungswege "sein Teil" der Einigung ermitteln lässt) und die mit ihm übereinstimmende wirksame Bewilligung des Betroffenen beim GBA einreicht;
§ 873 Abs. 2 BGB (Fall 4): Aushändigung der Bewilligung (§ 19 GBO) an den Begünstigten in Urschrift oder Ausfertigung; eine beglaubigte Abschrift reicht nicht, auch die Vorlage der Bewilligung "am Begünstigten vorbei" an das GBA für sich allein macht nicht bindend. Der Zeitpunkt dieser Bindung ist aus dem Datum der vom Notar dem Begünstigten erteilten Ausfertigung ersichtlich. Bei Bewilligung in Beglaubigungsform kann der Notar mit Unterschrift und Dienstsiegel bestätigen, ob und wann er die Bewilligung aufgrund einer Vollmacht für den Begünstigten in Empfang genommen hat. Wurde dem Begünstigten die Bewilligung vom Betroffenen selbst ausgehändigt, hat er zur Herstellung der Bindung die Urschrift oder Ausfertigung zusammen mit seinem Antrag dem GBA einzureichen;
§ 875 Abs. 2 BGB (Fall 1): Vorlage der einseitigen Erklärung beim GBA, was i.d.R. durch Grundbuchvorlage der formgerechten Löschungsbewilligung geschieht;
§ 875 Abs. 2 BGB (Fall 2): Aushändigung der Löschungsbewilligung (§ 19 GBO) an den Begünstigten in Urschrift oder Ausfertigung (beglaubigte Abschrift reicht nicht), nachweisbar in gleicher Weise wie im o.g. § 873 Abs. 2 BGB (Fall 4);
§ 1117 Abs. 2 BGB: materiell-rechtliche Vereinbarung beider Vertragsteile über die Briefaushändigung; nachweisbar dadurch, dass der Begünstigte selbst oder durch den Notar seinen Antrag und die mit ihm übereinstimmende formelle Bestimmung nach § 60 Abs. 2 GBO beim GBA einreicht; durch Auslegung dieser beiden Verfahrenshandlungen lässt sich die materielle Vereinbarung des § 1117 Abs. 2 BGB ermitteln (wie im o.g. Fall 3 des § 873 Abs. 2 BGB);
[201] Vgl. Staudinger/Gursky, § 873 Rn 150 ff.

b)2. Voraussetzung

 

Rz. 81

Stellung des Antrags beim GBA. § 13 Abs. 1 GBO hat die Wirkung des § 878 BGB nur, wenn gerade dieser Antrag (nicht etwa ein neuer Antrag) zur Eintragung führt. Zurücknahme (§ 31 GBO) und Zurückweisung des Antrags (nicht aber eine Zwischenverfügung)[202] beseitigen die Wirkung. Wird die Zurückweisung im Rechtsbehelfsverfahren mit "rückwirkender" Kraft aufgehoben, dann lebt der Antrag mit seinen alten Wirkungen, also auch mit der Wirkung aus § 878 BGB wieder auf.[203] Die Praxis sollte die Rechtsprechung des BGH[204] b...

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