Rz. 169

Anders als manche andere Rechtsordnung unterscheidet das deutsche Sachrecht scharf zwischen drei verschiedenen Rechtsverhältnissen:

dem Innen- bzw. Grundverhältnis zwischen Vertretenem und Stellvertreter;
der Vollmacht und ihrem Gebrauch gegenüber dem Geschäftsgegner (Außenverhältnis);
dem dadurch bewirkten Hauptgeschäftsverhältnis zwischen Vertretenem und Geschäftsgegner.[559]

Die damit verbundene Abstraktheit der drei Verhältnisse voneinander übertragen Rechtsprechung und h.L. auf die Kollisionsrechtsebene. Die Vollmacht als selbstständiges Rechtsgeschäft wird danach auch eigenständig angeknüpft und erhält internationalprivatrechtlich ein besonderes Vollmachtsstatut.[560] Eine akzessorische Anbindung der Vollmacht an das Statut des Grundverhältnisses zwischen Stellvertreter und Vertretenem findet danach nicht statt, ebenso wenig eine unselbstständige Anknüpfung an das Geschäftsstatut für das Hauptgeschäft zwischen Vertretenem und dessen Vertragspartner.[561]

 

Rz. 170

Die h.M. geht von der Geltung des Wirkungslandstatuts für die Vollmacht aus. Gemeint ist damit das Recht des Landes, in dem die Vollmacht nach dem Willen des Vollmachtgebers ihre Wirkungen entfaltet oder entfalten soll.[562] Hintergrund sind Bedürfnisse zum Schutz des Rechtsverkehrs.[563] Der Geschäftspartner des Vertreters soll die Wirksamkeit und den Umfang der Vollmacht leicht prüfen und zuverlässig feststellen können, indem er sich an das ihm i.d.R. vertraute materielle Vertretungsrecht halten kann.[564]

 

Rz. 171

Das Wirkungsland wird grundsätzlich durch den Gebrauchsort definiert, also durch den Ort, an dem der Vertreter seine Erklärung abgibt bzw. – beim Empfangsvertreter – eine Erklärung entgegennimmt.[565] Bei Distanzgeschäften entscheidet damit der Ort, wo der Vertreter seine Erklärung abgesendet hat, sei es brieflich, telefonisch oder in anderer Weise.[566] Unmaßgeblich ist hingegen, wo die Erklärung zugeht oder die Vollmacht nachgewiesen wird.[567] Macht der Bevollmächtigte weisungswidrig an einem anderen Ort von der Vollmacht Gebrauch, als er nach dem Willen des Vollmachtgebers sollte, so kommt es wegen des Verkehrsinteresses auf den tatsächlichen Gebrauchsort an, es sei denn, der Dritte kannte den bestimmungswidrigen Gebrauch der Vollmacht oder musste ihn kennen (Rechtsgedanke des Art. 12 S. 1 EGBGB).[568] Wird eine Vollmacht (bestimmungsgemäß) in mehreren Ländern verwendet, so wird sie für jedes Land nach dortigem Recht beurteilt.[569] Das spielt etwa eine Rolle bei Generalvollmachten für in mehreren Ländern belegenes Vermögen.[570] Zwischen Einzel-, Dauer- und Generalvollmachten wird ansonsten bei der Anknüpfung des Vollmachtsstatuts grundsätzlich nicht unterschieden.[571]

[559] Steding, ZVglRWiss 1986 (1987), 25.
[560] BGHZ 43, 21; 64, 183, 192; BGH DB 1958, 1010; BGH NJW 1982, 2733; AWD 1975, 425; OLG München NJW-RR 1989, 663, 664; v. Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201, 203; Hausmann/Odersky/Hausmann, § 6 Rn 5.
[561] A.A. MüKo-BGB/Spellenberg, vor Art. 11 Rn 145 ff.
[562] BGHZ 43, 21, 26; 64, 183, 192; 128, 41, 47; BGH NJW 1954, 1561; 1990, 3088; BGH, DNotZ 1994, 485, 487; OLG Düsseldorf IPRspr 2003 Nr. 25; OLG Hamm IPRspr 2004 Nr. 18; Steding, ZVglRWiss 1986 (1987), 25, 43 ff.; Hausmann/Odersky/Hausmann, § 6 Rn 8 ff.; a.A. Ebenroth, JZ 1983, 821; Soergel/Lüderitz, BGB, Anh. Art. 10, Rn 101.
[563] BGHZ 64, 183, 192; BGH NJW 1954, 1561; OLG Stuttgart MDR 1981, 405; Steding, ZVglRWiss 1986 (1987), 25, 43.
[564] BGHZ 64, 183, 192; Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, Rn 5442; Hausmann/Odersky/Hausmann, § 6 Rn 9.
[565] Vgl. OLG Frankfurt AWD 1969, 415 f.; Dorsel, MittRhNotK 1997, 6, 7 f.; Hausmann/Odersky/Hausmann, § 6 Rn 10 f.
[566] OLG Frankfurt AWD 1969, 415, 416; OLG Saarbrücken IPRspr 1968, 69 Nr. 19a; LG Karlsruhe RIW 2002, 153, 155; Kropholler, IPR, § 41 I 2a.
[567] LG Karlsruhe RIW 2002, 153, 155; Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, Rn 5443.
[568] Kropholler, IPR, § 41 I 2a; v. Bar, IPR II, Rn 588; Schotten/Schmellenkamp, IPR, Rn 90; in diese Richtung neigen auch BGHZ 43, 21; BGH NJW 1954, 1561; BGH WM 1958, 558.
[569] Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, Rn 5444; Schotten/Schmellenkamp, IPR, Rn 90; anders BGH NJW-RR 1990, 248, 250: bei Dauervollmacht zwischen Ehegatten Wirkungsstatut, von dem schwerpunktmäßig Gebrauch gemacht wird.
[570] Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, Rn 5444.
[571] Vgl. MüKo-BGB/Spellenberg, vor Art. 11 Rn 118.

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