Leitsatz

Keine gültige Beschlussfassung einer doppelt qualifizierten Eigentümermehrheit zulasten einer Minderheit im Hinterhaus bei teurer Einzelfallsanierung des gemeinschaftlichen Hinterhausdachs (Revision wurde zugelassen)

 

Normenkette

§ 16 Abs. 2 und Abs. 4 WEG

 

Kommentar

  1. Entgegen der Auffassung des AG München (Urteil v. 18.9.2008) wurde vom Berufungsgericht der mit entsprechend doppelt qualifizierter Mehrheit gefasste Beschluss gemäß § 16 Abs. 4 WEG der Vorderhauseigentümer in diesem Fall einer notwendigen Dachsanierung des Hinterhauses allein zulasten der dortigen Eigentümerminderheit (mit Sanierungskosten von etwa 65.000 EUR) auf Anfechtung durch einen der beiden Hinterhauseigentümer für ungültig erklärt.
  2. Ausgehend vom maßgeblichen Gesetzeswortlaut und der zu dessen Auslegung herangezogenen Gesetzesbegründung hat ein solcher Beschluss dem "Gebrauch oder der Möglichkeit des Gebrauchs" durch die betreffenden Eigentümer Rechnung zu tragen. Dieses Tatbestandsmerkmal muss so verstanden werden, dass neben dem in erster Linie anzuwendenden Gebrauchsmaßstab auch andere Kriterien bei einer Entscheidung über eine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels berücksichtigt werden. Jedenfalls müssen im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung sachgerechte Lösungen erreicht werden.

    Nach der Gesetzesbegründung können sicher Malerarbeiten an Fenstern u.U. nach deren Anzahl abgerechnet werden. Ähnlich könnte auch bei Reparaturen von im Gemeinschaftseigentum stehenden Balkonteilen oder auch ggf. bei Stellplatz- und Garagensanierungen argumentiert werden. Beim Gemeinschaftseigentum Dach (oder auch einer Fassade) sind jedoch individuelle Gebrauchsvorteile nicht erkennbar. Dort ist von einer Einschränkung des Ermessensspielraums der Wohnungseigentümer auszugehen und nicht von einer "exklusiven Gebrauchsmöglichkeit" zu sprechen. Dies muss für alle tragend-konstruktiven Bauteile des Gemeinschaftseigentums gelten, also insbesondere auch für tragende Betonteile, die für die Statik eines Hauses von Bedeutung sind.

    Gerade das Dach eines Hauses auch in einer solchen Mehrhausanlage erzeugt keine exklusiven Gebrauchsmöglichkeiten für die Eigentümer in diesem Haus. Es stellt vielmehr dasjenige dar, was architektonisch gesehen als Pendant zu dessen wesentlichem Mindestinhalt eines Vertrags gelten kann: Ohne Dach gibt es kein Gebäude und somit auch kein Gemeinschaftseigentum! Auch das Dach eines Nebenhauses prägt deshalb neben seiner Funktion den optischen Gesamteindruck der gesamten Mehrhausanlage in weit stärkerem Maße als etwa Fassadenteile wie Fenster oder Balkone mit größerer exklusiverer Gebrauchsmöglichkeit der betreffenden Sondereigentümer.

  3. Bei vereinbarter Trennung einzelner Gebäude ist im Regelfall auch von Blockstimmrechten auszugehen. Dieses Blockstimmrecht ist allerdings nur in den eng begrenzten Ausnahmefällen gegeben, wenn eine Betroffenheit auch der übrigen Eigentümer ausgeschlossen ist. Allerdings soll es ein Blockstimmrecht nach h.M. jedenfalls dann nicht geben, wenn ein Beschluss Auswirkungen auf das äußere Erscheinungsbild der Gesamtanlage hat. Die Bedeutung von Hausdächern für alle Eigentümer ist also für die Gesamtgemeinschaft so entscheidend, dass eine einseitige Verteilung der Kostenlasten keine sachgerechte Lösung wäre.
Anmerkung

Eine sehr wichtige Entscheidung zur notwendigen (wohl teleologischen) Auslegung der lückenhaften gesetzlichen Neuregelung des § 16 Abs. 4 WEG mit allen seinen bisher heftig umstrittenen Tatbestandsmerkmalen. Das Urteil bestätigt auch den diesseits stets in den Vordergrund gestellten Solidargedanken in Wohnungseigentümergemeinschaften (auch wenn diese als sog. Mehrhausanlagen ohne anfängliche Trennungsvereinbarungen angelegt sind).

 

Link zur Entscheidung

LG München I, Urteil vom 30.07.2009, 36 S 18003/08 (mit zugelassener Revision, also noch nicht rechtskräftig)

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