1 Überblick

Die fortschreitende Internationalisierung von Sachverhalten mit Bezug zu Vorsorgefragen macht es zunehmend erforderlich, den Umgang mit inländisch errichteten Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen im Ausland festzulegen. Vor diesem Hintergrund regelt das Das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13.1.2000 (ErwSÜ),[1] ratifiziert und veröffentlicht von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2007[2] und in Kraft getreten mit Wirkung zum 1.1.2009, die Zuständigkeit, das anwendbare Recht sowie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen von Schutzmaßnahmen für Erwachsene. Das Übereinkommen hat nach Art. 3 Nr. 2 EGBGB Vorrang vor den autonomen Regeln des deutschen Rechts. Wendet ein ausländisches Gericht oder eine ausländische Behörde deutsches Kollisionsrecht an, so gelten die Art. 15 ff. ErwSÜ weiter fort.

Mittlerweile haben sich neun Vertragsstaaten dem Übereinkommen angeschlossen, nämlich:

  • Mittlerweile haben sich neun Vertragsstaaten dem Übereinkommen angeschlossen, nämlich:
  • Frankreich (18.9.2008),
  • Deutschland (1.1.2009),
  • Schweiz (1.7.2009),
  • Estland (1.1.2011),
  • Finnland (1.3.2011),
  • Tschechische Republik (1.8.2012),
  • Österreich (1.2.2014) und
  • Monaco (1.7.2016).

Folgende weitere Länder haben das Abkommen unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert:

  • Griechenland,
  • Irland,
  • Italien,
  • Luxemburg,
  • Niederlande,
  • Polen und
  • Zypern.

Das ErwSÜ gliedert sich in folgende Abschnitte:

  • Kapitel I (Art.1 - 4): Anwendungsbereich des Übereinkommens
  • Kapitel II (Art. 5 – 12): Zuständigkeit
  • Kapitel III (Art. 13 – 21): Anzuwendendes Recht
  • Kapitel IV (Art. 22 – 27): Anerkennung und Vollstreckung
  • Kapitel V (Art. 28 – 37): Zusammenarbeit
  • Kapitel VI (Art. 38 – 52): Allgemeine Bestimmungen
  • Kapitel VII (Art. 53 – 59): Schlussbestimmungen
[1] BGBl II 2007 323.
[2] BGBl I 2007, S. 314, BGBl II 2007, S. 323.

2 Anwendungsbereich

2.1 Sachlich

Vom ErwSÜ erfasst, sind nach den Art. 15 ff. ErwSÜ strenggenommen lediglich Vollmachten eines Erwachsenen (Art. 2 Abs. 1 ErwSÜ), für den Fall ab Eintritt seines Vorsorgefalls. Die deutsche Ausprägung der Vorsorgevollmacht als sog. unmittelbar wirksame General- und Vorsorgevollmacht geht deutlich weiter. Rein dogmatisch müsste man derartige Vollmachten also aufspalten in einen Teil vor Eintritt des Vorsorgefalls (hier gelten die Regelungen des Stellvertretungsrechts) und einen Teil ab Eintritt des Vorsorgefalls (erst dann wäre der Anwendungsbereich des ErwSÜ eröffnet[3]). In der Praxis dürften die Übergänge allerdings fließend und schwer nachprüfbar sein. Aus diesem Grund besteht wohl allgemeine Übereinstimmung dahingehend, dass derartige Vollmachten auch bereits vor Eintritt des Vorsorgefalls dem ErwSÜ unterstellt werden.[4] Nicht anwendbar ist das ErwSÜ allerdings für sog. transmortale oder postmortale[5] Vollmachten ab Eintritt des Erbfalls.

Der Anwendungsbereich des ErwSÜ beschränkt sich auf das Außenverhältnis der Vollmacht. Regelungen, die der Vollmachtgeber mit dem Bevollmächtigten im Innenverhältnis trifft, sind nicht erfasst. Das ErwSÜ bezieht sich ebenfalls nicht auf isolierte Betreuungs- oder Patientenverfügungen, es sei denn, diese sind in eine Vorsorgevollmacht integriert.

[3] Staudinger/Hein, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rn. 174.
[4] Ludwig, DNotZ 2009, 251 (273); Wedemann, FamRZ 2010, 785 (786); Schaub, IPRax 2016, 207 (209).
[5] Schaub, IPRax 2016, 207 (209).

2.2 Örtlich

Die Art. 15 ff. ErwSÜ sind unproblematischerweise anwendbar, wenn der Vollmachtgeber seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Teilnehmerländer hat. Die herrschende Meinung sieht den Anwendungsbereich des ErwSÜ aber auch als eröffnet an, wenn der gewöhnliche Aufenthalt in einem Drittstatt liegt.[6] Hierfür spricht schon der Wortlaut des Übereinkommens.

Betroffen sein muss weiter ein internationaler Sachverhalt. Hat der Vollmachtgeber lediglich Auslandsvermögen, selbst allerdings seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, greifen die Regelungen des ErwSÜ nicht.[7]

[6] Staudinger/Hein, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rn. 170 m.w.N.; MüKo/Lipp, Art. 15 ErwSÜ Rn. 11; Schaub, IPRax 2016, 207 (209) m.w.N; a.A. Müller, ZNotP 2012, 404 (405): es gilt autonomes nationales Recht.
[7] Kurze/Demirci, Art. 15 ErwSÜ Rn. 9.

2.3 Zeitlich

Das ErwSÜ gilt für alle Vollmachten, die nach Inkrafttreten des Übereinkommens errichtet wurden, Art. 50 Abs.1 ErwSÜ. Im Bezug auf Deutschland sind dies also alle Maßnahmen ab dem 1.1.2009. Für Fälle vor diesem Datum regelt Art. 50 Abs. 3 ErwSÜ, dass auch solche Vollmachten, die denen des Art. 15 ErwSÜ entsprechen, vom Abkommen erfasst sein sollen. Praktisch dürften damit die meisten deutschen Vorsorgevollmachten vom ErwSÜ erfasst sein.[8]

[8] Zu den Ausnahmen (formunwirksame Rechtswahl, Statutenwechsel) vgl. Kurze/Demirci, Art. 15 ErwSÜ Rn. 10.

3 Anwendung in der Praxis

3.1 Grundsatz

Zur Anwendung kommt nach Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ das Recht des Landes, in dem der Errichtende zum Zeitpunkt der Vereinbarung oder der Vornahme des Rechtsgeschäfts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Sachnormverweisung, Art. 19 ErwSÜ). Der unbestimmte Rechtsbegriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist...

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