Entscheidungsstichwort (Thema)

Ärztliche Behandlung. Behandlung durch Nichtarzt. psychologische/psychotherapeutische Behandlung. Sachleistungsprinzip. Kostenerstattung. Betreuungspflicht. Aufklärungspflicht. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. sozialrechtlicher Schadensersatzanspruch. Amtspflichtverletzung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Krankenkasse hat dem Versicherten auch bei Verletzung von Betreuungs- und Aufklärungspflichten oder bei Verletzung der Sicherstellungspflicht aus § 368 RVO nicht die Kosten zu erstatten, die er für, die Behandlung eines privat in Anspruch genommenen Diplom-Psychologen aufgewendet hat.

2. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch steht dem Versicherten grundsätzlich nicht zu, weil dieser Anspruch nicht auf eine Leistung gerichtet sein kann, für die das Gesetz keinerlei Grundlage bietet (Abweichung von BSG 1979-11-28 – 3 RK 64/77 – SozR 2200 § 182 Nr. 57 und 1981-02-18 – 3 RK 34/79).

 

Normenkette

RVO § 122 Abs. 1, § 182 Abs. 1 Nr. 1, §§ 188, 368; SGB I §§ 14-15, 16 Abs. 3

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 01.12.1978; Aktenzeichen S 9/Kr - 133/76)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 1978 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für eine verhaltenstherapeutische Behandlung durch einen Diplom-Psychologen.

Der Kläger ist bei der Beklagten pflichtversichert mit Anspruch auf Familienhilfe für seinen 1961 geborenen Sohn H.-P.. Am 23. September 1975 ging bei der Beklagten das privatärztliche Attest des Kassenarztes Dr. K. vom 9. September 1975 ein, worin ausgeführt wird, daß der Sohn des Klägers in letzter Zeit erhebliche Verhaltensstörungen zeige und sich weigere, zur Schule zu gehen; bei dem organisch gesunden Jungen handele es sich zweifellos um seelische Probleme, die dringend einer psychotherapeutischen Behandlung bedürften. Der Kläger legte ferner eine Rechnung des Diplom-Psychologen S. vom 18. September 1975 für eine testpsychologische Untersuchung des Sohnes H.-P. am 8. September 1975 und eine Elternberatung am 15. September 1975 in Höhe von 200,– DM vor. Gleichzeitig überreichte er eine Bescheinigung des Diplom-Psychologen S. vom 18. September 1975 „zur Vorlage bei der Krankenkasse”, die folgenden Inhalt hat:

„Wie neben einer ärztlichen Untersuchung auch eine eingehende psychologische Untersuchung ergab, bedarf H.-P. dringend einer Verhaltens therapeutischen Psychotherapie. Es werden voraussichtlich 90 Sitzungen à mindestens 20 Minuten benötigt. Unser Honorar pro Sitzung beträgt 20,– DM. Die im Falle von H.-P. F. durchzuführende Therapie entspricht der GOÄ-Ziff. 2559”.

Die Beklagte reichte dem Kläger die Rechnung unter dem 26. September 1975 mit dem Bemerken zurück, daß Diplom-Psychologen nicht zu dem Personenkreis gehörten, die Untersuchungen oder Behandlungen im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung durchführen dürften. Die Kosten einer Untersuchung oder Behandlung könnten daher nicht übernommen werden. Für die Behandlung seines Sohnes beim Diplom-Psychologen S. vom 8. September 1975 bis April 1976 entstanden dem Kläger Kosten in Höhe von insgesamt 2.350,– DM. Mit am 2. August 1976 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben bat er durch seinen Prozeßbevollmächtigten um einen rechtsmittelfähigen Bescheid, den die Beklagte am 3. August 1976 erteilte. Den am 23. August 1976 eingelegten Widerspruch, zu dessen Begründung der Kläger einen Bericht des Zentrums der Psychiatrie des Klinikums der J.-Universität F. vom 9. Januar 1976 mit der Diagnose „Schulphobie” vorlegte, wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 24. September 1976 – dem Kläger zugestellt am 30. September 1976 – zurück.

Die am 25. Oktober 1976 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main durch Urteil vom 1. Dezember 1978 abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Bei der psychotherapeutischen Behandlung durch den Diplom-Psychologen S. handele es sich weder um eine der Krankenkasse gemäß § 182 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) obliegende Maßnahme der Krankenpflege noch um eine Notfallbehandlung nach § 368 Abs. 1 Satz 2 RVO. Der Kläger habe auch gar nicht den Versuch unternommen, einen Arzt aufzusuchen, der gleichzeitig Psychotherapeut sei, sondern sich sofort an den Diplom-Psychologen S. gewandt.

Gegen das seinem Prozeßbevollmächtigten am 20. Februar 1979 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. März 1979 Berufung eingelegt. Er trägt vor: Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. November 1979 – 3 RK-64/77 – sei die Krankenkasse verpflichtet, dem Versicherten den Weg zu einer psychotherapeutischen Behandlung als Kassenleistung aufzuzeigen. Dieser Verpflichtung sei die Beklagte nicht nachgekommen, obgleich Art, Umfang und zu erwartende Kosten der erforderlichen verhaltenstherapeutischen Maßnahme aus den ihr eingereichten Bescheinigungen u...

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