Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzneimitteltherapie. Immucothel. Zulassung. Mitgliedsstaat. Gemeinschaftsrecht. Grundfreiheiten. Dienstleistungsfreiheit. Warenverkehrsfreiheit. Gesundheitsschutz. Qualitätsprüfung. Gemeinschaftsverfahren. bindende Gemeinschaftsentscheidung. Europäische Agentur. Ausschuss für Arzneispezialitäten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Versicherte hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine neuartige Arzneimitteltherapie (hier: Immucothel-Therapie), die bisher nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union aufgrund der in diesem Staat bestehenden nationalen Vorschriften zugelassen ist.

2. Die Regelung, dass die Zulassung eines Arzneimittels nach dem Arzneimittelgesetz als Mindestvoraussetzung angesehen wird, die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung an eine wirtschaftliche Verordnungsweise gestellt wird, verletzt nicht das Gemeinschaftsrecht.

3. Die Einschränkung der Grundfreiheiten der Warenverkehrsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit durch die betreffende nationale Regelung ist gerechtfertigt aufgrund des Interesses des Gesundheitsschutzes.

4. Eine bindende Gemeinschaftsentscheidung, die in einem der dafür durch das Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Gemeinschaftsverfahren zur Genehmigung von Arzneimitteln nach wissenschaftlicher Beurteilung durch den Ausschuss für Arzneispezialitäten zustande gekommen ist, hat eine positive Bindungwirkung auch im Hinblick auf die Verordnungsfähigkeit zu Lasten des innerstaatlichen Krankenversicherungssystems.

 

Normenkette

SGB V § 2 Abs. 1, § 12 Abs. 1, § 70 Abs. 1 S. 2; AMG § 21 Abs. 1 S. 1, § 73 Abs. 3; EG Art. 49, 28, 30, 46; EWGV 2309/93; Richtlinie 75/319/EWG; Richtlinie 93/39/EWG

 

Beteiligte

Barmer Ersatzkasse, vertreten durch den Vorstand

 

Verfahrensgang

SG Darmstadt (Urteil vom 24.02.2000; Aktenzeichen S 10 KR 207/99)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 18.05.2004; Aktenzeichen B 1 KR 21/02 R)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. Februar 2000 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der am 28. Dezember 1948 geborene Kläger begehrt von der Beklagten die Übernahme der Behandlungskosten für eine Therapie mit dem Medikament „Immucothel”.

Bei dem Kläger, der bei der Beklagten freiwillig versichert ist, besteht der Zustand nach wiederholter transurethraler Resektion eines Harnblasen-Carcinoms, zuletzt Januar 1998 (pTa, GII).

Ein Antrag auf Kostenübernahme für eine Instillationstherapie mit dem Arzneimittel Immucothel stellte der Kläger mit Schreiben vom 28. Mai 1998 (Eingang bei der Beklagten am 29. Mai 1998) und fügte Entlassungsberichte der Urologischen Klinik und Poliklinik der …-Universität M. vom 21. Januar 1997, vom 28. Oktober 1997 und vom 19. Februar 1998, einen Arztbrief von Prof. Dr. K., Chefarzt der Urologischen Klinik Allgemeines Krankenhaus C., vom 21. April 1998 sowie eine Bescheinigung des Facharztes für Urologie Dr. F. vom 26. Mai 1998 bei. Dr. F. teilte dabei mit, dass eine Tumorprophylaxe mit Mitomycin wegen schwerer Chemocystitis abgebrochen werden musste und daher eine Prophylaxe mit Immucothel ärzlichererseits angeraten werde.

Die Beklagte veranlasste daraufhin hinsichtlich der beantragten Therapie eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen – MDK–. Der Internist Dr. S. (MDK) teilte in seiner Stellungnahme vom 9. Juni 1998 mit, das Präparat Immucothel sei zwar in den Niederlanden zugelassen. In Deutschland sei der Antrag auf Zulassung indes am 7. Januar 1997 wegen nicht ausreichender Arzneimittelprüfung und nicht belegter therapeutischer Wirksamkeit versagt worden. Das betreffende Medikament könne deshalb in Deutschland noch nicht direkt von der Herstellerfirma biosyn vertrieben werden. Da die Entscheidungen der Zulassungsbehörden, die aufgrund des Arzneimittelgesetzes ergangen seien, Bindungswirkung für die Sozialversicherung hätten, könnten Arzneimittel, deren Zulassung abgelehnt worden sei, generell nicht für eine Erstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung in Frage kommen. Die Blasencarzinom-Rezedivprophylaxe mittels Immucothel könne dementsprechend einzelfallbezogen nicht befürwortet werden.

Nach den Telefonvermerken in den Verwaltungsunterlagen der Beklagten wurde der Kläger am 12. Juni 1998 sowie am 13. Juni 1998 telefonisch über die beabsichtigte Ablehnung seines Antrages in Kenntnis gesetzt.

Mit Bescheid vom 23. Juni 1998 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Übernahme von Behandlungskosten für eine tropische Immuntherapie mittels Immucothel (schriftlich) ab. Aufgrund des Gutachtens des MDK komme eine einzelfallbezogene Kostenerstattung nicht in Betracht.

Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die bisher durchgeführten Studien mit dem Medikament Immucothel in der Phase II und der Phase III zeigten, dass eine mit den etablierten Therapieverfahren vergleichbare Verbesserung der Rezidivhäufigkeit bei ei...

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