Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Zulassungsbeschränkung wegen Überversorgung. Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes und Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens. vertragsärztliche Tätigkeit in nennenswertem Umfang. Schutz der Verwertungsmöglichkeit der Praxis

 

Orientierungssatz

1. Sind für eine Arztgruppe in einem Planungsbereich Zulassungsbeschränkungen wegen Überversorgung angeordnet, so kann dort grundsätzlich kein Arzt mehr zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden. Eine Ausnahme hiervon besteht dann, wenn die Zulassung eines Vertragsarztes durch Erreichen der Altersgrenze, Tod, Verzicht oder Entziehung endet.

2. Eine Praxis kann iS des § 103 Abs 4 S 1 SGB 5 nur dann von einem Nachfolger fortgeführt werden, wenn der ausscheidende Vertragsarzt tatsächlich unter einer bestimmten Anschrift in nennenswertem Umfang (noch) vertragsärztlich tätig gewesen ist.

3. Reduziert sich krankheitsbedingt der Patientenstamm derart, dass eine 15- bis 20-stündige Praxistätigkeit nicht mehr gewährleistet ist, so ist davon auszugehen, dass das Ruhen der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht nur zum Stillstand der Praxis geführt hat. Ruht die Zulassung länger als sechs Monate, so entfällt das Erfordernis einer fortführungsfähigen Praxis als Voraussetzung für die Ausschreibung gemäß § 103 Abs 4 SGB 5.

4. Die Vorschrift des § 103 Abs 4 S 1 SGB 5 dient allein dem Schutz der Verwertungsmöglichkeit der Praxis im zulassungsgesperrten Bereich als Ausfluss des Eigentumsschutzes nach Art 14 GG. Deshalb kommt es nur auf die tatsächliche Existenz einer fortführungsfähigen Praxis als verwertbares Wirtschaftsgut an, nicht jedoch darauf, ob und aus welchen Gründen die Fortführungsfähigkeit weggefallen ist.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Februar 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes und Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) - Gesetzliche Krankenversicherung.

Die 1949 geborene Klägerin ist approbierte psychologische Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin. Sie war seit 25. November 1999 bis 31. Dezember 2006 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Mit Schreiben vom 22. September 2003 teilte die Beklagte der Klägerin mit, bei einer Überprüfung sei festgestellt worden, dass sie über einen längeren Zeitraum keine Abrechnung eingereicht habe. Die Klägerin erklärte hierzu, ein Antrag auf Ruhen der Zulassung sei nicht erforderlich, da sie im Quartal IV/02 und I/03 gearbeitet habe. Sie wies auf entsprechende Abschlagszahlungen hin. Sie setze ihre Arbeit auch fort, könne aber krankheitsbedingt nur eingeschränkt arbeiten. Ende September habe sie für das vierte Quartal 2003 neue Termine vereinbart, die sie danach mit in die Abrechnung einbeziehen wolle, welche sie bis zum 15. Dezember des Jahres einzureichen beabsichtige. Mit Schreiben vom 12. Februar 2004 wies die Beklagte die Klägerin erneut daraufhin, dass eine Abrechnung nicht eingegangen sei. Sie kündigte an, sollte für das Quartal I/04 wiederum keine Abrechnung eingehen, werde sie einen Antrag auf Entziehung der Zulassung wegen Nichtausübung der Tätigkeit beim Zulassungsausschuss einreichen. Am 30. April 2004 beantragte die Klägerin das Ruhen der Zulassung ab dem 1. Januar 2004 bis vorsorglich 30. Juni 2004. Sie habe sich am 25. April 2004 in stationäre, klinische Behandlung wegen einer konservativen Behandlung der Wirbelsäule begeben.

Der Zulassungsausschuss/Psychotherapie bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen stellte mit Beschluss vom 17. Juni 2004 das Ruhen der Zulassung der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 30. Juni 2004 fest. Unter Hinweis auf ihre anhaltende Krankheit beantragte die Klägerin die Verlängerung des Ruhens der Zulassung. Dies stellte der Zulassungsausschuss mit Beschluss vom 23. September 2004 - befristet bis 10. Januar 2005 - fest. Telefonisch kündigte die Klägerin am 6. Januar 2005 einen Verlängerungsantrag hinsichtlich des Ruhens der Zulassung an. Sie erklärte, sie liege wegen eines Unfalls in der Klinik und können nicht schreiben. Sie reichte hierzu eine ärztliche Bescheinigung ein. Unter Datum vom 30. November 2005 teilte die Klägerin mit, im Mai 2005 habe sie bisherige Patienten behandelt. Eine Praxis mit zirka 15 bis 20 Stunden pro Woche könne sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht aufnehmen. Wegen eines bevorstehenden Umzugs könne sie neue Patienten gegenwärtig nicht aufnehmen.

Mit Schreiben vom 5. Januar 2006 beantragte die Beklagte die Entziehung der Zulassung. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, eine erneute Überprüfung der Abrechnung habe ergeben, dass die Klägerin nachweislich seit dem zweiten Quartal 2004 keine Abrechnungen eingereicht habe. Das Ruhen sei seit ...

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